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Marathonläufer Günter Marhold aus Wolfratshausen im Porträt

Der Ultra-Marathon-Mann

Von Benjamin Engel

Wolfratshausen, 11.9.2017 – Ganz entspannt sitzt Günter Marhold an einem Vormittag im Sommer auf der Terrasse seines Hauses am Wolfratshauser Bergwald. Der 48-jährige Lehrer an der Franz-Marc-Förderschule in Geretsried wirkt durchtrainiert und drahtig. Nur unter seinem T-Shirt zeichnet sich ein kleines Bäuchlein ab. Das will zu seinen sportlichen Leistungen kaum passen. Knapp 240 Kilometer in 24 Stunden ist er dieses Jahr bei den Weltmeisterschaften für das Deutsche Nationalteam in Belfast Anfang Juli gelaufen. In der Teamwertung erreichten die Deutschen den sechsten Platz, vor zwei Jahren stand Marhold mit dem Team als drittplatzierte Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Turin auf dem Siegertreppchen. „Nach Belfast habe ich es mit dem Training etwas schleifen lassen“, erklärt Marhold. Daher stamme das Bäuchlein.

Alle Wettbewerbe mit mehr als 42,195 Kilometern Länge – diese Distanz umfasst ein Marathon – sind Ultra-Marathons. In dieser Szene zählt der Wolfratshauser in der Bundesrepublik zu den Besten. Im 24-Stunden-Lauf wurde er 2013 Deutscher Meister. 229 Kilometer legte er damals am Stück zurück. Und mit der Mannschaft vom TSV Wolfratshausen hat er bei der Deutschen Meisterschaft im 24-Stunden-Lauf 2015 und 2016 triumphiert. Jeweils die besten Drei werden gewertet.

Auf der Terrasse mit Blick auf die Alpenkette erzählt der Lehrer von rund 1000 Wettkampfkilometern in einem durchschnittlichen Jahr und einem Vielfachen an Trainingskilometern obendrauf. Was das bedeutet, illustriert ein unscheinbares Marmeladengläschen auf dem Tisch. Es ist mit 154 Kieselsteinen gefüllt. Marhold das erst kürzlich nachgezählt. Jedes einzelne Kieselchen steht für eine Umrundung des Starnberger Sees im Joggen. „Ich trainiere häufig um den See. Das sind genau 50 Kilometer, wenn ich von meiner Haustür in Wolfratshausen loslaufe sind es 75. Das mache ich aber nicht so oft“, sagt er. Und wenn er eine Seeumrundung geschafft hat, nimmt er einen Kiesel nach Hause mit. So bringt sich Marhold in Form.

Philosophie 24-Stundenlauf

Wie jemand dazu kommt bei Wettkämpfen 24 Stunden Distanzen mit weit über 200 Kilometern zu laufen, ist zunächst schwer zu verstehen. Marhold empfindet es als Ausgleich zum Beruf und eine Art Philosophie. „Das ist wie eine kleine Katharsis. Wenn man sehr lang unterwegs ist, mistet man gedanklich aus.“ Er sei dann ganz auf sich selbst fokussiert, durch nichts mehr abgelenkt. „Man ist halt einfach“, sagt er. Ein Extremsport ist für ihn das Ultramarathonlaufen nicht. Es sei nur eine lange Ausdauersache und mehr nicht, sagt er.

Als Sucht mag der Familienvater seine Leidenschaft nicht beschreiben. Seine Frau – mit ihr hat er zwei Töchter – sage zwar, er sei unausgeglichen, wenn er länger nicht laufe. „Ich selbst würde nicht so weit gehen.“ Er könne auch fünf Wochen auf das Laufen verzichten, sagt er. Genauso hocke er stundenlang auf seiner Terrasse und schaue einfach nur „blöd“ vor sich hin. Bis heute ist er 50 Marathons und 105 Ultra-Marathons gelaufen. Bei den kürzeren Marathon-Distanzen achtet Marhold inzwischen gar nicht mehr auf die Zeit. Sie dienten rein dem Training, sagt er.

Gerade bei längeren Strecken und über mehr Zeit sei die Atmosphäre wesentlich entspannter. Unter den Läufern gebe es mehr Solidarität. Und 24-Stunden-Läufe führten über ein bis zwei Kilometer langen Rundkurs immer im Kreis. Die Teilnehmer sähen sich die ganze Zeit, litten gemeinsam und feuerten sich auch gegenseitig an. Wer in dieser Zeit die meisten Kilometer schaffe, habe gewonnen. Wenn die Teilnehmer bei den Wettbewerben auf die Toilette müssten, etwas zu Essen oder Trinken zu sich nähmen, laufe die Uhr weiter.

Mit Leichtathletik fing es an

Stück für Stück ist Günter Marhold in die Ultra-Marathon-Szene eigenen Worten nach hineingewachsen. Mit Leichtathletik hatte er anfangs kaum etwas zu tun. Seine Liebe gehörte dem Ball. Für den BCF Wolfratshausen und die DJK Waldram spielte der gebürtige Fürstenfeldbrucker Fußball. Erst 1997 lief er seinen ersten Marathon, im Juli dieses Jahres nahm er am 60-Kilometer-Lauf im unterfränkischen Euerbach teil. Von Anfang an habe ihn fasziniert, lange unterwegs zu sein und nicht zu wissen ob er ankommen würde. Mit den Jahren wurden die Distanzen und die Läufe mehr. Seit 2009 waren es um die zehn Ultra-Marathons jedes Jahr. 2011 allerdings nur vier. In diesem Jahr musste Marhold länger pausieren. Er hatte eine Cellulitis, eine bakterielle Entzündung der unteren Hautschichten, am Schienbein, was vor allem unter Läufern häufiger vorkommt. Inzwischen hat er acht Mal den Sechs-Stunden-Lauf in Ottobrunn, unter anderem die 24 Stunden von Basel zweimal und von Turin einmal gewonnen.

Einige bizarre, aber auch spektakuläre Erinnerungen verbindet Marhold mit den Wettbewerben. „Die 100 Kilometer von Biel waren schon sehr abgedreht“, sagt er. Teils liefen die Teilnehmer unter Vollmond durch die Nacht, dann sogar durch ein voll besetztes Bierzelt. „Der Wechsel ist bizarr.“ Und an einem besonders in der Nacht dunklen Streckenabschnitt, dem sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfad, habe er stehen bleiben müssen, weil er keine Stirnlampe wie die erfahreneren Läufer dabei hatte. Dann hab er eben auf einen mit entsprechender Leuchte gewartet. Beim Miau-Lauf über 100 Meilen von München nach Innsbruck – die Strecke führt über den Sylvensteinspeicher, Achensee und Jenbach hat er im Dunklen eine Dreiviertelstunde nach dem Weg gesucht und in 17 Stunden und 40 Minuten trotzdem gewonnen. Zu den absoluten Highlights zählte der Spartathlon in Griechenland. Gestartet wird an der Akropolis in Athen. In höchstens 36 Stunden müssen es die Läufer bis nach Sparta schaffen. Bei seinen Reisen zu den Läufen ist Marhold auch an Kunst und Kultur in den Städten interessiert. Er bummle durch die Stadt, schaue sich die Sehenswürdigkeiten an, sagt er.

Zur Ultramarathon-Mannschaft des TSV Wolfratshausen gehören auch Detlev Gärtner und Michael Merkel, die Marhold schon aus Schulzeiten kennt. Merkel ist allerdings verletzt und kann nicht an der Deutschen Meisterschaft in Gotha teilnehmen. Marhold selbst weiß nicht, wie lange er noch wettbewerbsmäßig an Ultra-Marathons teilnehmen kann. Von einer Sache ist er allerdings überzeugt. Durch das Laufen lerne er Demut. Es fühle sich geerdet, weil er erfahre, dass er nicht immer der komplette Chef sein könne, der alles im Griff habe. Nach der Devise „Ich kam, sah und siegte“ gehe es eben nicht. „Man sollte dankbar sein, wenn man das machen kann und es nicht für selbstverständlich nehmen.“

Fotos: Benjamin Engel


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