Das Magazin für das Bayerische Oberland
Mo220
22. Apr 2024
Di230
23. Apr 2024
Mi240
24. Apr 2024
Fr260
26. Apr 2024
So280
28. Apr 2024
Mo290
29. Apr 2024
Di300
30. Apr 2024
Mi010
01. May 2024

Im Porträt: Werner Stadler aus Ambach

Der Streichholzbaumeister

Von Benjamin Engel

Ambach, 21.4.2017 – Werner Stadler ist ein großer Architekt und Handwerker – aber im kleinen Maßstab. Er hat ein Jahr und 300 bis 400 Stunden an seinem venezianischen Palast Ca‘ d’Oro im Format von 40 zu 30 Zentimetern gebaut. Stadlers einziger Baustoff: Streichhölzer und die flachen Hölzchen aus den Streichholzbriefchen für die Dächer seiner Hausmodelle.

Werner Stadler kennt schon lange fast jedes kunstvolle Detail des venezianischen Palastes Ca‘ d’Oro am Canal Grande. Er bewundert die feinen Säulen, Rundbögen und das filigrane Maßwerk. Als er dann persönlich vor dem Haus aus dem 15. Jahrhundert in Venedig stand, war das für ihn ein besonderes Gefühl wie bei einem Handwerker, der vor seinem Meisterwerk steht. „Ich weiß, dass sich das jetzt komisch anhört. Aber ich habe gedacht, ich bin der Baumeister“, erklärt der 65-jährige Ambacher.

Wie der Rentner auf das ungewöhnliche Hobby Modellbau aus Streichhölzern kam, klingt zunächst lapidar. „Weil ich wenig Platz habe“, sagt er. Er kaufte Zündhölzer in großen Stückzahlen in einem örtlichen Supermarkt. Und so kommt er auch mit dem einfachsten Handwerkszeug aus: ein Messer, um die Köpfe der Streichhölzer abzutrennen, einen nur wenig Zentimeter großen Fensterschaber zum passgenauen Zerkleinern derselben in die gewünschte Größe, Winkel, Bleistift, Holzleim und Schneidebrett. „Das ist mein ganzes Arbeitszimmer“, sagt Stadler.

Initialzündung eine Kirche aus Streichhölzern

Doch so sachlich-nüchtern der Ambacher auf den ersten Blick klingen mag. In ihm steckt viel Kreativität, Begeisterungsfähigkeit und Fantasie. So hat er auch sein Hobby vor rund 20 Jahren entdeckt. Damals erinnerte sich der gebürtige Niederbayer an eine Kunstausstellung in seiner Volksschule in Hebertsfelden vor Jahrzehnten. „Ich war in der ersten Klasse, unter anderem gab es da eine Kirche aus Zündhölzern. Die habe ich nie ganz vergessen können.“ Initialzündung für den Nachbau von Gebäuden vor allem aus der griechisch-römischen Antike und der Renaissance.

Auf das Stichwort Italien scheint Stadler nur gewartet zu haben. Lebhaft beginnt er zu erzählen. „Italien ist das Land meiner Sehnsucht, die Geschichte, die Luft ist ganz anders.“ Vor allem von der Renaissance zeigt er sich begeistert. „Das war das Zeitalter der Schönheit.“ Stadler weiß selbst, dass er sich womöglich ein bisschen blauäugig anhört. Doch für ihn blühte mit dieser Epoche nach „dunklen Zeiten“ die Kunst auf. Der Humanismus entwickelte sich. Florenz wurde zum Wegbereiter der Moderne. Zukunftsweisende Künstler wie Michelangelo und Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci erlangten Weltruhm. Noch heute liest Stadler gerne Biografien berühmter Künstler von van Gogh bis Gauguin.

Konditor beim Café Hölzl

Hätte Stadler seinen Beruf frei wählen können, wäre er am liebsten auf die Kunstakademie gegangen, Maler oder Architekt geworden. Doch dafür fehlte es in seiner Kindheit und Jugend an Zeit und Geld. Er wuchs auf dem elterlichen Bauernhof in Niederbayern auf. Nach der Schule arbeitete er selbstverständlich mit. Und als es darum ging, was aus ihm einmal werden sollte, entschied sein Vater, dass er Konditor lernen sollte. „Da hast du immer etwas zu essen, hat er gesagt“, erinnert sich Stadler. Nach Abschluss der Lehre ging er 1969 ins Cafe Hölzl nach München, arbeitete dort ein paar Jahre und übernahm schließlich ein Lebensmittelgeschäft in der Landeshauptstadt.

Heute lebt Stadler in Ambach alleine, bezeichnet sich selbst als Einzelgänger. Und trotz manch unerfüllter Lebensträume wirkt er zufrieden. Er arbeitet noch im kommunalen Wertstoffhof und als Hausmeister im Kindergarten in Degerndorf – und freut sich an der Schönheit von Natur und Kunst. „Schönheit betrügt dich nicht. Die ist da, kein Mensch braucht sie, aber es ist schön, dass es sie gibt.“

„Das Entscheidende ist, dass das Gebäude im Kopf schon fertig ist.“

Anregungen für seine Modelle aus Streichhölzern bieten Stadler Fotografien, Ansichten und Pläne aus Architekturbänden und Zeitschriften. Allein daraus berechnet er den originalgetreuen Maßstab für seine Nachbauten. „Das Entscheidende ist, dass das Gebäude im Kopf schon fertig ist, bevor man mit dem Bauen beginnt.“ So entstanden als erstes Bauwerk vor 20 Jahren die Propyläen vom Münchner Königsplatz. Nachbauten der Pazzi-Kapelle in Florenz, des Palazzo Vendramin in Venedig oder der Kirche Maria da Batalha bei Lissabon in Portugal folgten. Besoonders die Fassade des Sakralbaus aus dem 14. Jahrhundert faszinierte Stadler. Herausfordernd war es, das Spitzbogenportal exakt nachzubilden. „Das gibt dem Gebäude erst die richtige Tiefe.“

Für jede seiner Modellbauten braucht Stadler mindestens 5000 Streichhölzer, für das aus drei Teilen zusammengesetzte Loire-Schloss Chambord vielfach mehr. Bis zu einem Jahr ist er mit einem Nachbau beschäftigt. So sind um die 20 Bauten entstanden. Derzeit arbeitet Stadler am Dürerhaus in Nürnberg. „Das wird mein erstes Modell mit Fachwerk.“

Größere Aufmerksamkeit wollte Stadler mit seiner filigranen Miniaturarchitektur nie erreichen. Über das Interesse daran freut er sich trotzdem. Vor zwei Jahren hat er zwölf seiner Werke an das Zündholzmuseum in Grafenwiesen bei Bad Kötzting in der Oberpfalz gespendet. „da sind sie gut aufgehoben“, sagt er. Die Museumsbetreiber würden die Modelle sorgfältig pflegen und aufbewahren. „Dafür danke ich.“

Ein Bewahrer und Sammler istt Stadler auch selbst. An den Wochenenden ist er auf den Flohmärkten der Region unterwegs, sucht unter anderem Bilder und historische Handwerksgeräte. Von vielen seiner Schätze ist er in den eigenen vier Wänden umgeben. Uhren hängen an den Wänden und auch ein Bild des Armen Poeten von Carl Spitzweg. „Ich empfinde mich wie der arme Poet“, sagt Stadler.

Fotos: Benjamin Engel


NEWS