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Kabarettist Bruno Jonas in der Loisachhalle, Wolfratshausen

Expedition in die bayerisch-politische Seele

Von Claudia Koestler

Wolfratshausen, 22.11.2016 – Er ist keiner, der für sein Publikum die aktuellen Steilvorlagen aus Politik und Gesellschaft einfach nur abwatscht, den Applaus abholt und weiterzieht. Nein, ganz so einfach macht es sich Bruno Jonas nicht. Der Kabarettist fordert sein Publikum mit klugen und entlarvenden Konklusionen, die er in fast unscheinbare Plaudereien eines Typen von Nebenan, eines Jedermanns, packt. Zum Beispiel in seinem ganz neuen Programm, mit dem Jonas am Donnerstag in Wolfratshausen gastierte und das Publikum in der restlos ausverkauften Loisachhalle begeisterte.

„Nur mal angenommen“ ist der Titel seiner jüngsten Bühnentour. Denn, so die These des Künstlers, das ganze Leben sei schließlich eine Annahme: „Viele glauben, dass sie annehmen müssen, was ihnen geboten wird. Aber immer mehr Menschen können nicht mehr glauben, dass es so weiter gehen soll wie bisher“, sagt Jonas. Ein Spannungsfeld, das wiederum viele Fragen aufwirft, über das Leben an sich und dem Leben im Hier und Jetzt im Besonderen. Fragen, denen Jonas vielfach im orientierenden Konjunktiv nachging, so dass er seinen Diskurs in der Loisachstadt vielfach im Irrealis spielen ließ.

Der Philosoph

Klingt philosophisch? In der Tat, Jonas entwarf Vexierbilder zwischen Sein und Hypothese, und diesen philosophischen Ansatz verriet bereits das Bühnenbild. Der Kabarettist, mit Anzug, Krawatte und Hut, stand mitten zwischen gelben Paketen auf der Bühne, im Hintergrund die Büste eines griechischen Gelehrten. Sein Einstieg ins Programm indes war alles andere als verkopft, vielmehr bot er großen Wiedererkennungswert: Ein zu Hause Arbeitender, der deshalb für alle Nachbarn, die tagsüber aushäusig sind, die Pakete entgegennimmt. Und wie Jonas dem Publikum davon erzählte, verstieg er sich in den Plaudereien zu immer neuen Höhen. Es klingelte, doch eine Tür vermisste Jonas: „Vielleicht gibt es inzwischen ja eine EU-Richtlinie gegen Türen – sie wissen schon, wegen Brandschutz“, überlegte er.

Der Paketdienstler

Er begann, über den Niedergang der staatlichen Post zu philosophieren und dass die Paketzulieferer heute aus immer östlicheren Gefilden rekrutiert würden: Die Klingel, das war vermutlich Murat, „unser Paket-Türke“, sagte er. Überhaupt habe er nur deshalb irgendwann das erste Paket abgenommen, weil ihn das Vertrauen von Murat überrascht hatte: „Wo hat man das noch, dass einer, der einen nicht kennt, einen noch für einen Mitmenschen hält? Da dachte ich mir, ja freilich, bist' halt hilfsbereit“. Außerdem keimte die Hoffnung auf, so werde er die Nachbarn kennenlernen – doch die Pakete sind heute noch da. Und längst nicht mehr alleine. Auf der anderen Seite aber stünden die stets wachsenden Anforderungen und bürokratischen Regelungen: „Wenn die bei DHL erfahren, dass ich hier ganz ohne Ausbildung Pakete annehme“, sorgte er sich.

Mehr und mehr überhöhte Jonas seine Alltagsbeobachtungen, ganz nach dem Motto „kleiner Finger, ganze Hand“: Inzwischen klingelt schon der Warenanlieferer für Tengelmann nachts um 4.30 Uhr bei ihm, um seine Kisten loszuwerden: „Drüben in der Filiale ist ja jetzt keiner da.“
Eines mag also zum Anderem kommen, doch Intention und Ziel gehen nicht immer Hand in Hand.

Ambivalenz war ein weiteres Thema, über das Jonas nicht einfach referierte, sondern geschickt das Publikum heranführte und zum Nachdenken brachte. Zum Beispiel, als er erzählt, er habe sein Publikum übrigens bereits befragt: „Halten Sie sich für intelligent?“ 100 Prozent hätten das bejaht. Ebenso sei die Reaktion auf die zweite Frage: „Haben Sie Humor?“ ausgefallen. Er gratulierte sich dazu, ein so intelligentes und humorvolles Publikum zu haben.

Wissen entlarvt

Ähnlich entlarvte er auch Wissen, das man zu wissen glaubt, und die Variablen der Interpretation: Entscheidend sei, was der Sprechende denke und sich bei der Wortwahl vorstelle, sagte Jonas. Das wiederum könne der Hörende natürlich nicht wissen, der die Worte so deute, wie er sie deuten möchte. Sein konkretes Beispiel war der viel zitierten Ausspruch des AfD-Politikers Alexander Gauland über den Fußballer Jerome Boateng: „Bei ihm hat man das als Rassismus gedeutet. Wenn ich genau das Gleiche sagen würde, würde doch niemand annehmen, dass ich rassistisch bin, sondern überlegen, was ich damit bezwecken wollte.“

Der Abend bot folglich nicht nur eine Expedition in die bayerisch-politische Seele, sondern glich einem philosophisch-linguistisch erhellendem Proseminar mit dem Ziel der leisen Selbsterkenntnis. Es ging um Fragen der Identität, um Bedingungen der Erkenntnis, um den menschlichen Charakter („sozial und solidarisch, wenn es ihm nützt“). Dabei folgt eJonas nicht konsequent einer dramaturgisch ausgefeilten Erzählstruktur, sondern sprang auch immer wieder zwischen Ideen hin und her. Sein Publikum hatte er dennoch von Beginn an im Griff, die Bühnenpräsenz war beeindruckend, die Schnelligkeit der Gedanken und Worte ebenfalls. Kabarett, das intellektuell forderte und zugleich unterhaltsam war. Jonas ist ein philosophischer Kopf, der seine Konklusionen à la „a gscheiter Depp is dümmer wia a depperter Depp“ geistreich vorbereitet, der Denkmuster via Spieltheorien entlarvt. Denn offenbar ist auch die Vernunft „eine Sache der Betrachtungsweise“. So gelang Jonas mit mittlerer Schärfe und erstaunlichen Bögen eine sehr unterhaltsame, nachhaltig reflektierende Darstellung des Lebens, sozusagen aus der Mitte heraus. Der rauschende Schlussapplaus zeigte, wie begeistert die Besucher davon waren.

Fotos: Claudia Koestler

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