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Historische Revue in Wolfratshausen

Viel Applaus für „Ärzte, Hexen, Handaufleger“

Von Peter Herrmann

Wolfratshausen, 16.11.2014 – Erst wenige Stunden vor Beginn der Historischen Revue konnte das vom Historischen Verein Wolfratshausen herausgegebene Buch „Ärzte, Hexen, Handaufleger. Medizingeschichte im Isar- und Loisachtal“ aus der Druckerei abgeholt werden. Was die Leser erwartet, zeigte das dreistündige Showprogramm in der Loisachhalle mit musikalischen Einlagen des Kinderchors, der „Ächten Ärzte“, der Waldramer Sängerinnen und der „Falschen Schwestern“.

Physikatsberichte und Opernarien

Der Kinderchor der Wolfratshauser Musikschule eröffnete den Abend mit zwei Kinderliedern. Für die Begrüßung des Publikums schlüpften die Vorsitzenden des Historischen Vereins in grüne Arztkittel und enthüllten feierlich die unter einem Operationstuch liegenden druckfrischen Exemplare des Medizingeschichte-Buchs.

Der ehemalige Wolfratshauser Kulturreferent Ludwig Gollwitzer brillierte in der Rolle des königlichen Gerichtsarztes Dr. Matthias Heilmair, der 1862 in seinem Physikatsbericht ein wenig schmeichelhaftes Urteil über die Wolfratshauser Bevölkerung fällte: „Die Geistesentwicklung geht langsamen Schrittes, eine Folge ihrer natürlichen Trägheit, es fehlt jedoch nicht an den nötigen geistigen Anlagen“.

Neugierig auf die Geschichte des 1851 geborenen  „Kohlrabi-Apostels“ Karl Diefenbach machte Anja Brandstäter. Der Maler, Nudist und Vegetarier lebte zeitweise in Höllriegelskreuth und initiierte dort eine Lebensreformbewegung. Übereifrige Polizisten zeigten ihn an, weil sie seine Kinder nackt im Garten herumlaufen sahen. So kam es am Wolfratshauser Gericht zu Deutschlands erstem Nudistenprozess. Die passende musikalische Untermalung lieferten darauf die von den „Ächten Ärzten“ vorgetragene Opernarie „Wenn du fein brav ist …“.

Vom Alten Krankenhaus bis zur Kreisklinik

Welch große Bedeutung ein heute eher unauffälliges Mietshaus an der Sauerlacher Straße 15 für die Loisachstadt hatte, legte Kalja Voss dar. Das 1824 fertigstellte „Alte Krankenhaus“ steht seit dem Jahr 1972 auf der Bayerischen Denkmalliste und könnte in Zukunft im Verbund mit einem Ärztebau oder als einer von vielen möglichen Standorten des Stadtarchivs aufgewertet werden. Nachdem kranke Patienten von 1915 bis 1965 im Neuen Krankenhaus an der Gebhardtstraße untergebracht wurden, kam es 1966 schließlich zur Eröffnung der Kreisklinik. Der heute 92-jährige Max Platiel, Sohn des Wolfratshauser Landarztes Josef Platiel erinnert sich noch genau an diese Zeit und berichtete über Hausbesuche seines Vaters, der Anfang des 20. Jahrhunderts noch mit Pferd und Kutsche zu seinen Patienten fuhr.

Hebammen und Zahnärzte im Oberland

In den 1950er und 1960er Jahren waren Hausgeburten nichts Ungewöhnliches. Die Mütter mussten damals 360 Mark für eine Krankenhausentbindung zahlen und nahmen die Dienste von Hebammen wie Anna Huber in Anspruch. Die heute 84-jährige Geburtshelferin gab am Freitagabend Einblicke in ihren über sechzig Jahre alten Hebammenkoffer. Über 7.000 Kinder brachte sie zur Welt. Ihr Erfolgsgeheimnis: „Zeit und Geduld sind wichtig. Nichts ist schlimmer im Hebammenberuf als Hudelei oder das Bestreben schnell fertig zu werden“, verriet Huber auf Nachfrage von Bernhard Reisner.
In einer Showeinlage lehnte der zweite Vorsitzende des Historischen Vereins das Angebot von Zahnarzt Peter Schweiger ab, sich der Behandlung einer Fußtritt-Bohrmaschine aus dem Jahr 1910 zu unterziehen. Schweigers Vater Max benutzte das Gerät damals in seiner Praxis im Wolfratshauser Besenbräu.

Berichte von Paul Brauner über die Geschichte des Friedhofs im Wolfratshauser Stadtteil Nantwein, eine Lesung von Christine Noisser und Claus Steigenberger über das Wirken der Kohlheißn-Traudl von Walchstadt sowie Sybille Kraffts erschütternder Bericht über das Leben des jüdischen Kinderpsychiaters Erich Benjamin, der sich am 22. April 1943 infolge der Schikanen der Nationalsozialisten das Leben nahm, waren Teil der dreistündigen Historischen Revue. Die ersten der insgesamt 2.000 Exemplare des Buches „Medizingeschichte im Isar- und Loisachtal“ waren rasch verkauft. Für 24,90 Euro ist es nun im Buchhandel erhältlich.

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