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„Kocherlball" im Kurhaus Bad Tölz

Tanz in den Morgen

Von Johanna Barkley

Bad Tölz, 18.06.2017 - Es hat schon etwas Gnadenloses, wenn der Wecker an einem Sonntag um 4.30 Uhr morgens klingelt. Aber immerhin: Es ist Juni und deshalb steht um diese Zeit die Sonne bereits am Horizont. Und was noch viel wichtiger ist: Es ist die richtige Zeit, um sich auf den Weg zu machen, und zwar für den „Kocherlball“ in Bad Tölz.

In der Tat war der Ball, der am vergangenen Sonntag zum vierten Mal seit seiner Wiederentdeckung zum 100. Geburtstag des Tölzer Kurhauses 2014 über die Bühne ging, wieder eine bestens besuchte Veranstaltung: Eine illustre Gästeschar von Jugendlichen bis Senioren war noch vor den ersten Sonnenstrahlen aufgestanden, schlüpfte in Tracht, Dirndl, Kutscher- oder Zimmermadlmontur, um pünktlich um sechs Uhr morgens beim Kurhaus anzutanzen.

Ein absoluter Traum

Der Tölzer Kocherlball hat ein prominentes Vorbild: Im Biergarten am Chinesischen Turm in München wurde bereits 1989 die alte Tradition wiederbelebt, die bis heute weitergeführt wird. Ende des 19. Jahrhunderts trafen sich im Biergarten im Englischen Garten an den Sommersonntageni n Köchinnen, Laufburschen, Kindermädchen und Hausdiener zum Tanz, bevor ihr Dienst begann. Bis zu 15 000 Besucher kommen dort seither einmal im Jahr am frühen Morgen zusammen und feiern. Für manche zu viel Andrang, weshalb sich der Tölzer Kocherlball am historischen Kurhaus als perfekte Alternative anbietet. Peter Hoffmann, der am Sonntag dort den Tanzmeister gab, und seine Frau Uta möchten das Tölzer Brauchtum jedenfalls nicht missen: Der Ball am Chinesischen Turm, das sei „inzwischen eine Massenveranstaltung“, sagt der Tanzmeister. „Hier hingegen ist es ein absoluter Traum.“

Nostalgiker in prächtigen Kostümen

Denn wer einmal beim Tölzer Kocherlball war, weiß: Dort passiert Magisches. Das Licht zum Beispiel, wenn langsam die Sonne über dem dem Grün des Kurparks aufgeht. Die Luft, die noch kühl und weich ist, bevor die Hitze sich durchsetzt. Und die Menschen. Plötzlich sitzen Gäste aus Nah und Fern neben Trachtlern und Volkstanzbegeisterten aus der Region, Nostalgiker in prächtigen Kostümen teilen sich Tische und Bänke mit Partyvolk, das nach einer durchzechten Nacht gar nicht erst heimgegangen ist. Beobachter werden zu Teilnehmern, drehen sich auf der Tanzfläche, formieren Zug und Gegenzug, Viererketten und Achterreihen zu so vielversprechenden Liedern wie „Glückliche Herzen“ oder „Vergnügungszug“. Und wenn Hoffmann seine Ansagen macht, wird viel gelacht: Die Kocherlball-Besucher sind ausgelassen wie wohl einst die Dienstboten an ihrem freien Morgen. Auch die vierte und sicher nicht letzte Auflage des „Kocherlballs” in der Kurstadt hat somit erneut bewiesen: In Bad Tölz etabliert sich eine der schönsten, weil eine der liberalsten Veranstaltungen überhaupt.

Foto: Manfred Neubauer

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