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Das Buch „Lebenserinnerungen“ - Künstler Hans Kastler, Eurasburg

„Von der Klamschlucht in die Welt der bildenden Kunst“

Von Benjamin Engel

Eurasburg, 24.10.2017 - Wo der Bildhauer Hans Kastler geboren wird, wandert der schwedische Dichter August Strindberg (1849-1912) rund vier Jahrzehnte zuvor. In der Klamschlucht sieht der Skandinavier einen mystischen Ort: „Der Wasserfall und die Mühle, das Rauschen ähnelt dem Ohrensausen, das mich seit den ersten beunruhigenden Ereignissen in Paris verfolgt … Dann die Schmiede mit den nackten und nackten Schmieden, bewaffnet mit Feuerzangen, Haken, Klemmen, Schmiedehämmern inmitten von Feuer, Funken, glühendem Eisen und geschmolzenem Blei; ein Lärm, der das Gehirn auf seiner Unterlage erschüttert und das Herz im Brustkorb zum Hüpfen bringt.“ So schreibt Strindberg über eine seiner Wanderungen durch die Klamschlucht in Oberösterreich Ende des 19. Jahrhunderts. Damals hielt sich der schwedische Dichter in der Gegend auf.

In Klam bei Grein wird Hans Kastler am 2. Juli 1931 geboren. Als Bub schon steht der 2016 verstorbene Bildhauer in der familieneigenen Schmiede. Er schaut seinem Vater zu, wie er aus glühendem Eisen unter dem schweren Hammer Pflugeisen oder Werkzeug schmiedet. Die Erinnerungen an die Kindheit in der Schlucht werden ihn bis an sein Lebensende prägen – das Rauschen des Wasserfalls, das Getöse des Hammers in der alten Schmiede und das Spielen mit den Steinen im Wasser.

In seinen Lebenserinnerungen thematisiert Hans Kastler seinen Weg „von der Klamschlucht in die Welt der bildenden Kunst“. So lautet der Untertitel des neu erschienenen Buches. Doch als er mit den Aufzeichnungen beginnt, kann er nicht mehr künstlerisch tätig sein. Nach einem Schlaganfall ist er halbseitig gelähmt. Mit der linken Hand muss er das schreiben erst mühsam lernen. Mit seinen Lebenserinnerungen füllt er 120 DIN-A4 Seiten auf Papier. Neffe Ambros Kastler hat die handschriftlichen Notizen seines Onkels redigiert. Petra Welker, die Tochter von Hans Kastler, hat daraus ein Buch mit 135 Seiten herausgegeben. Dem Leser gewährt der Bildhauer einen intimen Blick in seine private Gedankenwelt. Selbst die Krankheiten und Zumutungen des Alters spart er nicht aus.

In eine vom Handwerk geprägte Familie ist Hans Kastler Anfang der 1930er-Jahre hineingewachsen. Vater Josef betreibt zu dieser Zeit die familieneigene Schmiede. Mutter Theresia stammt aus der Sturmmühle in Saxen. Zur Familie gehören noch die vier älteren Brüder von Hans Kastler. Nur die beiden ältesten werden den Zweiten Weltkrieg überleben. Bach, Wald und Felsen werden Kastler zum Kindergarten. Früh macht ihn sein Onkel Ernst Graner, ein Wiener Maler, mit der Welt der Kunst vertraut. Den Wunsch, Schnitzer zu werden, weckt schließlich die Lektüre von Ludwig Ganghofers Roman „Der Herrgottschnitzer von Oberammergau“.

Der Weg zur Kunst beendet die mystische Welt der Kindheit in der Klamschlucht. Im Alter von 15 Jahren verlässt Hans Kastler seinen Geburtsort, um eine Ausbildung in der Bundesschule für Holz- und Steinbearbeitung in Hallein zu beginnen. Die Fahrt in den knapp 190 Kilometer entfernten Ort im Salzburger Land wird für ihn zur Weltreise. Mit Motorrad, Lastwagen und Zug dauert es 15 Stunden, bis er sein Ziel erreicht.

Die Ausbildung wird sein Denken und die Beziehung zur Kunst in neue Bahnen lenken. „Die Form war plötzlich wichtiger als das Thema. Und so fand ich allmählich in eine neue Art der Gestaltung hinein. Ich glaubte es zunächst jedenfalls, aber es stimmte nicht ganz. Ich merkte, dass das Gefühl noch wichtiger war“, schreibt er. In Hallein geht Kastler bei Professor Hans Baier, einem Schüler des Tierplastikers Fritz Behn, in die Lehre. Nach der Schule in Hallein wird er bei diesem seine Ausbildung von 1951 bis 1954 in München fortsetzen.

Ein Schimpanse aus Ulmenholz

Ob Behn sein Interesse für Tierfiguren weckt? Als Kastler in einem Sägewerk im Münchner Stadtteil Moosach Schnitzmaterial kaufen will, entdeckt er im Abfall jedenfalls ein Stück Ulmenholz. Aus dem schnitzt er einen Schimpansen. Die Affenfigur wird er ein Leben lang behalten. „Immer wenn ich Glück hatte, war der Schimpanse in irgendeiner Form mit im Spiel“, schreibt Kastler. Im späteren Berufsleben sollen die Tierplastiken dessen Kunst prägen – vom Gorilla in Geretsried, dem Wolf in Wolfratshausen oder dem Löwen in München. Sechs Meter hoch und 22 Meter lang ist die Monumentalplastik in Form einer Schlange, die Kastler aus Beton gießt – für die Ruderregattaanlage in Oberschleißheim zu den Olympischen Spielen in München 1972. Doch Kastler erschafft ebenso abstraktes. Charakteristisch sind etwa die sogenannten „Stabi-Mobs“, Skulpturen mit stabilen und mobilen Elementen, die sich ineinander verdrehen können.

Horizonterweiternd wird für den Wolfratshauser Kulturpreisträger und Bundesverdienstkreuzträger das Reisen. Ein Stipendium führt Hans Kastler Mitte der 1960er-Jahre in den US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico nach Taos zur Wurlitzer Foundation. Die Hirschtänze der Pueblo-Indianer beeindrucken ihn so sehr, dass er sie in einer Plastik festhalten wird.

Lebensmittelpunkt wird für Hans Kastler aber sein Wohn- und Atelierhaus in Happerg. 1969 kauft er dort ein Grundstück. Und das musste wohl so sein. Denn wenige Jahre vorher hatte er in München einen alten Bauernschrank erworben. Darin hatte er eine im Jahr 1910 an einen Herrn Graf in Happerg adressierte Postkarte gefunden. Zur jahrzehntelangen Gefährtin wird seine Frau Renate werden. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Hans Kastler, wie er sie kennenlernte. Im Detail zeichnet er ihren jahrelangen Kampf gegen den Krebs nach. Noch einmal findet Kastler nach dem Tod seiner Frau eine neue Lebensgefährtin. Rund zwei Jahre vor seinem Tod wird dann der Schlaganfall zum erneuten Einschnitt. Hans Kastler wird ins Krankenhaus eingeliefert. In sein Wohn- und Atelierhaus in Happerg kann er nicht mehr zurück. Und auch seinen geliebten Chow-Chow Carla muss er abgeben. Weder er noch seine Tochter Petra Welker können sich um den treuen Begleiter kümmern.

Bis zu seinem Tod am 26. August 2016 verbringt Hans Kastler noch rund zwei Jahre in einem Pflegeheim in Benediktbeuern. Erst jetzt, so schreibt er, kann er den schwedischen Dichter August Strindberg richtig begreifen, der einige Zeit in der Klamschlucht in Oberösterreich gewohnt hatte und von der Schlucht und der Schmiede so begeistert gewesen ist. An das Schaffen des Bildhauers erinnert noch der Skulpturenpark in Happerg. Die Gemeinde hat das Grundstück gegenüber von seinem Atelier zu dessen Lebzeiten gekauft. Vertraglich hat sie zugesichert, sich 100 Jahre um den Park mit den Plastiken Kastlers zu kümmern. Derzeit läuft noch bis Freitag, 27. Oktober, eine Ausstellung mit Mini-Plastiken im Eurasburger Rathaus. Tölzer Landratsamt können die Besucher die Stücke in einer Folgeausstellung im November besichtigen.

Hans Kastler, Lebenserinnerungen – Von der Klamschlucht in die Welt der bildenden Kunst, herausgegeben von Petra Welker, Redaktion: Ambros und Julia Kastler, 2017, 19 Euro, bestellbar über die Homepage www.hans-kastler.de, 1. Auflage ausverkauft, wieder erhältlich ab Anfang November 2017; Ausstellung im Rathaus Eurasburg bis 27. Oktober; Ausstellung im Tölzer Landratsamt, 9. bis 30. November.

Weitere Informationen über den Künstler und seine Kunst nachzulesen unter www.hans-kastler.de 

Fotos: Benjamin Engel

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