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Fluss-Festival 2017 in Wolfratshausen

„A Weiberts“ als Boandlkramerin

von Benjamin Engel

Wolfratshausen, 23.07.2017 - Noch stockt der Brandner Kaspar (Wolfgang Roth). Das Wort will ihm nur unvollständig über die Lippen kommen. „Boandlkramer“ entfährt es ihm, als er den schwarzen Tod zum ersten Mal sieht – und muss sich gleich verbessern lassen. „Boandlkramerin“ muss es nämlich richtig heißen. Und das ist schon gleich der Clou an der Version der Loisachtaler Bauernbühne von Franz von Kobells „Der Brandner Kaspar und das ewig‘ Leben“ am Flussfestival. Denn der Tod ist eine Frau: Lisa Richter spielt sie als Frivol Naive im engen schwarzen Dirndl ohne Bluse. „Du bist ja so blöd“, sagt sie dem Brandner Kaspar, als der mit ihr um 18 weitere Lebensjahre Kartenspielen will. Doch vom gerissen-charmanten Bayern wird sie hereingelegt und verliert. Die Antwort, ob das mit einem weiblichen Tod in Bayern funktionieren kann, gibt das Publikum bei der Premiere am Freitagabend gleich selbst – mit donnerndem Applaus und „Bravo“-Rufen, besonders für die Boandlkramerin selbst.

Die Geschichte ist altbekannt. Der „Brandner Kaspar zählt zum klassischen Kanon der bayerischen Volksstücke. Wie der 72-jährige Kleinbauer und Büchsenmacher vom Tegernsee den Tod beim Kartenspiel überlistet und ihm so noch 18 weitere Lebensjahre abtrotzt, wurde schon vielfach für die Bühne adaptiert und verfilmt. Unter Regisseur Herbert Penzel ist der Loisachtaler Bauernbühne eine sinnenfrohe, höchst amüsante Version voller Situationskomik und lokalen Adaptierungen gelungen. Die Boandlkramerin holt die Todgeweihten mit dem Fischerkahn ab, setzt mit ihnen über den Fluss zum Paradies über. Die Loisach – sie strömt träge direkt hinter der Bühne vorbei – wird so zum Styx der griechischen Mythologie. Und dann spielt in dem Stück auch noch der Wolfratshauser Ortsheilige Nantwein eine Rolle: Als dem der Legende nach 1268 aus Habgier zu Unrecht verurteilten Rom-Pilger (Franz Foitzik) vorgehalten wird, dass er gar nicht so wohlhabend und gottesfürchtig gewesen sei, wie er behaupte, entgegnet dieser trocken: „Für Wolfratshausen hat’s g’reicht.“ Das Publikum quittierst mit kollektivem Freudenglucksen.

Doch zurück zur wohlbekannten Handlung: Die Loisachtaler Jagdhornbläser geben das Startsignal und spielen zum Halali. Der Brandner Kaspar hat sich als Gehilfe auf einer höfischen Jagdgesellschaft verdingt. Da streift ihn ein Schuss aus der Büchse des herzoglichen Jägers Simmerl (Florian Roth), worauf er zum ersten Mal die schwarze Gestalt der Boandlkramerin im Fichtenunterholz bemerkt. Mit auf der Jagd ist auch die als Treiber verkleidete Enkelin vom Brandner Kaspar Marei (Christine Just). Die fesche junge Blondine wird vom Jäger Simmerl umworben, liebt jedoch den Wilderer Flori (Christian Foitzik). Als Bürgermeister Senftl, der nervös-beflissentlich den reibungslosen Ablauf des höfischen Treibens sicherstellt, besticht schon hier Andi Wastian.

Szenenwechsel von der Hauptbühne zur separat abgetrennten Hütte des Brandner Kaspars links davon: Als die Boandlkramerin eintritt, ist der hinterfotzig-gerissene, dem prallen bayerischen Leben zugewandte Alte erst einmal bass erstaunt. „A Weiberts“, entfährt es ihm. Und das Geschlechterspiel beginnt. „Ja hast Du denn ein Problem damit“, gibt die Boandlkramerin anfangs noch ganz schnippisch zurück. Doch nur allzu leicht lässt sie sich einlullen von den Komplimenten des Brandner Kaspar („A fesch Weiberts: So ein Kompliment hat mir noch nie jemand gemacht“). Mit Kerschgeist macht er sie betrunken, um ihr dann beim Kartenspiel noch viele Lebensjahre abzutrotzen.

Mit viel regionaler Brauchtumspflege angereichert ist die Feier zum 75. Geburtstag des Brandner Kaspar. Die Irschenhauser Musikanten spielen auf zum Gstanzl-Wettstreit. Junge Burschen und Madeln vom Wolfratshauser Gebirgstrachtenerhaltungsverein D’Loisachtaler tanzen und schuhplatteln und junge Achmühlerinnen singen als Dreigesang ein Geburtstagsständchen. Nur Schwester Theres (Christine Dillinger) wundert sich, warum der stets finanziell darbende Brandner Kaspar auf einmal so erfolgreich ist. Doch die lustige Festgesellschaft ist nur von kurzer Dauer. Jäger Simmerl und Bürgermeister Senftl locken den Wilderer Flori, der gerade auf der Pirsch in den Bergen ist, in die Falle. Als Marei ihren Geliebten warnen will, stürzt sie ab und stirbt mit nur 24 Jahren. Weil für den Brandner Kaspar das Leben danach nicht mehr dasselbe ist, lässt er sich von der Boandlkramerin schließlich in dem Himmel führen und bleibt.

In der himmlischen Sphäre steht Ludwig Gollwitzer als herzensguter Portner, der durchaus poltern kann, im Zentrum. „Jetzt schau halt nicht immer so ernst“, schimpft er den von seiner eigenen Bedeutung durchdrungenen, mit dem hoch aufrecht gehaltenen Flammenschwert über die Bühne schreitenden Erzengel Michael (Max Prestel). Franz Foitzik als selig lächelnder Nantwein mit stets gefalteten Händen und Jörg Schwenger als Turmair vervollständigen das himmlische Trio. Und dann ist da noch der freche „Lieblingsengel“ (Melissa Demmel).

Hervorzuheben ist das mit viel Sinn für jedes noch so kleine Detail gestaltete Bühnenbild. Selbst die Hütte des Brandner Kaspar hat Max Prestel vom Kachelofen bis zur Kerze und den Rehkrickerln als Garderobe stimmig eingerichtet. Ganz nah ist dort ein Teil der Zuschauer, wenn die Schauspieler dort agieren. Die Idee, das Heim des Brandner Kaspar von der Haupttribüne – auf dieser spielen die große Festszene zum Geburtstag und das Geschehen im Paradies – zu trennen, ist charmant. Und in himmlischen Sphären wähnen sich auch die Zuschauer, die an diesem Abend minutenlang applaudieren.


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