Das Magazin für das Bayerische Oberland
Di260
26. Mar 2024
Mi270
27. Mar 2024
Fr290
29. Mar 2024
Sa300
30. Mar 2024
So310
31. Mar 2024
Mo010
01. Apr 2024
Di020
02. Apr 2024
Mi030
03. Apr 2024
Do040
04. Apr 2024

Ein römischer Bäckerlehrling aus Münsing

von Andrea Weber

27.10.2009 - Josef Wagner war der Exot auf der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Weil er ein Bäcker ist und kein Künstler. Er hat als Handwerker ein Stipendium erhalten, um in der „Heiligen Stadt“ die italienische Backkunst zu erlernen.

Brezen und italienische Köstlichkeiten in Münsing

Wenn ihn die Maler, Musiker und Bildhauer in den lichtdurchfluteten Wohnstudios der Villa Massimo in Rom fragten, was er denn so für ein Künstler sei, dann sagte Josef Wagner immer das Gleiche: „Gar keiner – ich bin ein guter Handwerker.“ Wagners Kunstfertigkeit besteht vorwiegend aus Mehl und Butter. Er ist der Bäcker von Münsing. „Brezenbacken is koa Kunst“, meint er bescheiden und holt eben gerade etwas südländisch Duftendes mit einem Holzschieber aus dem Ofen seiner Backstube heraus. Es ist ein Ciabatta. Vorne im Geschäft hat er noch mehr mediterrane Teigspezialitäten, die nicht wirklich ins bayerische Sortiment gehören: ein Pane Romano, ein Rustico, ein Bianco und ein Ale Noce, ein römisches Walnussbrot. Seine italienischen Köstlichkeiten kommen im Dorf gut an, weil Wagner das Backen von Fabrizio und Bernardino in der „Heiligen Stadt“ erlernte.

Alls Bäcker der Exot in der Villa Massimo in Rom

Wer ein Stipendium der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom erhält, gehört normalerweise zu einem auserwählten Kreis hochtalentierter junger Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Literatur und Musik, die bereits öffentliche Erfolge vorzuweisen haben. Ihnen soll der Aufenthalt in Rom Inspiration und künstlerische Orientierung ohne finanzielle Engpässe ermöglichen.
Als Wagner 2007 Rom besuchte traf er einen guten Freund, ein Künstler, der zu jener Zeit in der Villa Massimo arbeitete. Der brachte die Regisseurin, Autorin und Produzentin Doris Dörrie mit. „Es war ein geselliger Abend mit einer unkomplizierten Frau.“ So lud Wagner Dörrie in seine Backstube nach Münsing ein. Sie kam, probierte und war imponiert vom Eifer des Bäckermeisters. Dörrie schlug Wagner für das „Praxis-Stipendiat“ der Villa Massimo vor, das 2008 zum ersten Mal den Handwerkern zu Gute kommen sollte – etwa Kostümbildnern oder Kunstdruckern. „Ich war als Bäcker der absolute Exot.“ Und damit stand der Münsinger blitzartig im Blickfeld der Öffentlichkeit. Vier Mal war er im Fernsehen, genauso oft im Rundfunk und Journalisten von Berchtesgaden bis Flensburg berichteten über den Bäcker an der Kunstakademie Villa Massimo.

In Bayern belegt man das Brot mit Wurst, in Italien tunkt man die Soßen damit auf

Als Wagner im Mai 2008 nach Rom fuhr, hatte er im Gepäck 300 Kilo deutsches Mehl, Brezelsalz und Kürbiskerne dabei. Er fuhr nicht als Künstler mit Stipendium dort hin; er war der Lehrling, nicht zu schade, um sieben Wochen lang um drei Uhr früh durch Rom zu Fabrizio Roscioli und Bernardino Bartocci in die Bäckerei „Forno Campo del Fiore“ zu radeln. Er lernte die Römer schätzen und sie den Bayern. Als sie ihm ihre Rezepte gaben, wusste er, er gehörte zu ihnen.
Er erlebte die Zeit in Rom nicht als Tourist. Er lernte die Menschen, ihre Mentalität und Kultur richtig kennen und versteht heute viel besser die kulinarischen Unterschiede. In Bayern belegt man das Brot mit Wurst, in Italien tunkt man die Soßen damit auf. Darum schmeckt das eine würzig und das andere fade. Die Deutschen verwenden Butter, die Italiener Olivenöl. „Als sie meine Brezen ins Öl tauchten, war klar – Brezen sind nichts für Römer“, erzählt Wagner. Die Ernährung gehöre zur Kultur eines Volkes, demnach dürfe man nicht bewerten, was besser oder schlechter ist, so die Meinung des Münsingers. „Das Stipendium war für mich ein Glücksfall. Einen internationalen Austausch wünschte ich mir für jeden Auszubildenden im Handwerk.“

Vor seinem Geschäft steht seitdem ein großes Schild vor der Ladentür: „Hier gibt es original-italienisches Brot.“ Die bayerischen Brezen dagegen blieben in Rom einmalig, damals im Mai 2008, als Josef Wagner in der Backstube des „Forno Campo del Fiore“ stand.

NEWS