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Zwischen Bayern und Tirol

Almsommer bei der Hochleger Sennerin

Von Benjamin Engel

Lenggries/Eben am Achensee – Der Kamm von Prinzkopf und Stierjoch bildet südlich von Fall die Grenze zwischen Bayern und Tirol. Den Scheitelpunkt zwischen den sonnigen Wiesenhängen im Süden und den steil im Geröll abfallenden Luderwänden im Norden kennt der 64-jährige Jakob Wasensteiner schon seit fast sechs Jahrzehnten. Als kleiner Bub im Alter vom fünf Jahren war er erstmals für längere Zeit im Almgebiet rund um den Lerchkogel bei seiner Tante. Die war auf dem Hochleger Sennerin. Viele Almsommer folgten. Trotzdem zieht es den inzwischen pensionierten Mitarbeiter der Tölzer Stadtwerke noch immer auf den Berg hinauf.

Die Natur- und Tierwelt ist für Jakob Wasensteiner ungebrochen faszinierend. Gerne beobachtet er die Gämsen. „Das ist ein Schmankerl“, sagt er. Die an steiles Gelände perfekt angepassten Wildtiere wechseln am späten Vormittag von den südlichen Wiesenhängen in die steilen abbrechenden Flanken der Ludernwände im Norden - von der prallen Sonne in den kühlen Schatten. Gleichzeitig überqueren die an das gebirgige Gelände perfekt angepassten Wildtiere am Kamm in rund 1900 Metern Seehöhe die Grenze vom österreichischen Tirol nach Bayern. Die fünf Lenggrieser und drei Gaißacher Almbauern der Gemeinschaftsalm im Lerchkogel-Gebiet nehmen ihre Anwesenheit gelassen. Die Gämsen bewegen sich zwischen den rund 250 jungen Rindern, zehn Rössern und 30 Schafen im 970 Hektar großen Almgebiet ungestört.

Auf der Delpsalm bis Schulanfang

Das Vieh ist von Juni an erst auf dem Niederleger in 1323 Metern Seehöhe. Im Juli geht es dann auf den Hochleger rund 200 Höhenmeter weiter oben. Das Jungvieh wird dann zur etwas weiter westlich gelegenen Delpsalm getrieben. Auf der hat Wasensteiner 1964 zusammen mit seinem vier Jahre älteren Bruder Georg – dieser hat den väterlichen Hof in Lenggries übernommen - den ganzen Sommer verbracht. Im Jahr darauf war Jakob Wasensteiner, damals zwölf, erstmals mit dem gleichaltrigen heutigen Vorsitzenden des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern, Georg Mair, auf der Delpsalm. In den nächsten vier Jahren wiederholten sie das, immer von 1. Juli bis zum Schulanfang im September. Gingen ihnen die Lebensmittel aus, mussten sie zur Tante auf dem Hochleger, um Nachschub zu holen. Wasensteiner kann sich an einige selbst zubereitete karge Kaiserschmarrn erinnern. Zur Zubereitung fehlten einmal die Eier, ein anderes Mal die Butter. Oder es war kein Mehl dar.

Weil die Tante als Sennerin die Tiere molk und die Milch verarbeitete, gab es immer Butter, Käse und Milch. Mehl war da, um selbst Brot zu backen. Mit Pferden mussten weitere Lebensmittel mühsam heraufgeholt werden. Erst Mitte der 1960er Jahre konnten die Bauern der Gemeinschaftsalm den Weg bis zum Niederleger ausbauen.

Früher bekamen die Bauernkinder im Isarwinkel schon Ende Juni schulfrei, um auf der Alm zu helfen. Sie mussten mitanpacken und außerdem waren so die Esser am heimischen Tisch im Tal weniger, erinnert sich Wasensteiner. Eine Mischung aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und Not. Heute ist der 64-jährige als Hirte noch immer jeden Sommer etwa zwei Wochen auf der Delpsalm. Er zieht im Nebenerwerb selbst noch Jungvieh auf, das im Sommer ebenfalls am Berg ist. Früher hat er zudem noch Schafe gezüchtet, das aber inzwischen aufgegeben.

„Dann sind wir in der Früh aufgestanden und es war draußen weiß.“

Was sich am meisten geändert habe, sei die Weite, sagt er. „Die Versorgung war früher nicht so gut“, sagt er. Auf der Alm sei man sehr weit weg vom Tal gewesen. Heute könnten die Bauern auf der Forststraße bis knapp unter den Hochleger fahren. Für das Vieh habe es keinerlei Zäune gegeben. Und außerdem gebe es batteriebetriebene Radios. So wüssten die Hirten, wie sich das Wetter entwickle. Früher seien sie schon einmal überrascht worden. „Dann sind wir in der Früh aufgestanden und es war draußen weiß.“ Über Nacht hätte es ein paar Zentimeter geschneit.

Heute wechseln sich die Hirten auf den Hütten ab. Die Tölzer Hans und Sabine Glasl sind in ihrem vierten Jahr für jeweils vier Wochen auf der Delpsalm. Der 48-jährige Mitarbeiter der Tölzer Stadtwerke und seine 51-jährige Frau – sie arbeitet bei einem großen Konzern – passen auf die 100 Stück Jungvieh, acht Rösser und 30 Schafe auf der Alm auf. Dafür nehmen sie sich Urlaub. Ihre Arbeitstage beginnen früh schon vor sieben Uhr morgens und enden früh. „Das Betthupferl auf Bayern 1 – es kommt um 19.55 Uhr – ist für uns Signal, bald schlafen zu gehen“, sagt Sabine Glasl. Nach dem Aufstehen seien sie täglich etwa vier bis fünf Stunden unterwegs, um nach den Tieren zu schauen und zu kontrollieren, ob der Weidezaun noch unter Strom stehe. Auf und ab geht es dann auf dem weitläufigen Almgelände östlich des Schafreuters und der beiden Delpsseen – und das bei jedem Wetter, ob strömender Regen, Schneefall oder Nebel.

Das Leben innerhalb der winzigen Almhütte schrumpft zumindest räumlich zusammen. Gerade einmal für ein Stockbett, einen kleinen Tisch samt Stühlen, den Ofen und die mit Gas betriebenen Kochplatten ist Platz. Das Essen wird in einem Einlass unter dem Boden kaltgehalten. Wenn die Sonne scheint, generieren die Solarzellen am Dach zumindest genug, um abends elektrisches Licht zu haben. Bleibt schönes Wetter aus und regnet es gar den ganzen Tag, müssen Kerzen reichen. Die nahe Quelle unterhalb der Baumgartenspitz spendet weiches Gebirgswasser, das Hans Glasl in Kanister abfüllt. Und die beiden Hirten haben sogar zwei Hühner mit nach oben gebracht. So haben sie immer Eier. Für das große Geschäft müssen beide zu einem Plumpsklohäuschen etwa hundert Meter von der Hütte entfernt. Doch was fasziniert Sabine Glasl am Almleben. „Ich fand das interessant. Ich bin Jägerin. Ich habe die Liebe zur Natur einfach so in mir drin“, sagt sie. Gerne würde sie auch nächstes Jahr wiederkommen.

Fotos: Benjamin Engel

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