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Historischer Verein Wolfratshausen

Im Briefwechsel mit Alt-Wolfratshausen

Von Peter Herrmann

Wolfratshausen, 22.4.2016 – Über zwei Stunden zogen Auszüge aus der Familienchronik von Hans Reiser und die Präsentation historischer Postenkartenmotive das Publikum im voll besetzten katholischen Pfarrheim in ihren Bann. Die Forderung der Vorsitzenden des Historischen Vereins Sybille Krafft, alte Gebäude zu erhalten, erntete dementsprechend viel Applaus.

Wolfratshauser Urgesteine als Hauptprotagonisten

„Alles fing damit an, dass Wiggerl Gollwitzer dem Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald eine historische Postkarte schickte und ich kurz darauf erfuhr, dass er eine ganze Sammlung davon besitzt“, erklärte Sybille Krafft. Die Vorsitzende des Historischen Vereins schaffte es daraufhin, mit dem 78-jährigen Hans Reiser ein weiteres „Wolfratshauser Urgestein“ für einen Vortragsabend zu motivieren. Zudem erklärte sich die ehemalige Lehrerin Hannelore Greiner bereit, die zum Teil in Sütterlin geschriebenen Postkartentexte zu entziffern und vorzutragen. Für die passende musikalische Begleitung sorgten Heinrich Zapf und seine Auftanzmusikanten. Zu sehen gab es zunächst historische Postkarten aus der Zeit zwischen 1897 und 1931. „Vor allem die sogenannten Mondscheinkarten waren damals in Mode“, erklärte Gollwitzer.

Stadtansichten waren hier meist mit blauem Hintergrund und dem Mond versehen. Auf anderen Karten, die aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammen, ist ein riesiger Schlot zu erkennen. „Der gehörte zum damaligen Elektrizitätswerk Weidach“, berichtete der ehemalige Wolfratshauser Kulturreferent. Zudem tauchen immer wieder das Gebäude der alten Landwirtschaftsschule, das Alte Krankenhaus an der Sauerlacher Straße, das Hotel Vier Jahreszeiten am Loisachufer und viele historische Brücken auf. „Es ist unsere Verantwortung, die Bauwerke, die heute noch stehen, zu erhalten“, forderte Sybille Krafft. Fasziniert haben Gollwitzer zudem die aufschlussreichen Texte, die mit Bleistift und Füller geschrieben und zum Teil bis in den amerikanischen Bundesstaat Ohio geschickt wurden. Manchmal verriet auch eine schräg aufgeklebte Briefmarke, dass der Schreiber in die Adressatin verliebt war. Weniger nett waren die Schilderungen eines Landvermessers, der auf die seiner Ansicht nach zu vielen Fremden in der Loisachstadt schimpfte: „Ein böses Pack ist hier in Wolfratshausen beinander“. Dabei ist auf der Vorderseite seiner Karte noch der Schriftzug „Wolfratshausen – Perle aus dem Loisachtal“ zu lesen.

Düstere Schilderung der NS-Zeit in Wolfratshausen

Dass Wolfratshausen vor allem zur Zeit des Nationalsozialismus  tatsächlich ein für Andersdenkende ungemütlicher Ort war, kann Hans Reiser bestätigen. Der 1938 geborene Sohn eines Bäckers las unter anderem eine erschütternde Szene aus seiner im letzten Jahr veröffentlichten Familienchronik vor. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs saß er Anfang 1945 mit seinen zwei Geschwistern und den Eltern beim Abendessen beisammen. Die Anweisung, kein Licht aus dem Haus scheinen zu lassen, um den Feind nicht auf sich aufmerksam zu machen, scheiterte an einem Reißnagel. Der daran befestigte schwarze Karton hing herunter, sodass Licht nach außen dringen konnte. Noch bevor jemand der Reisers den Fehler bemerkte, krachte bereits das Fensterglas. Mehrere Steine lagen im Raum, unten auf der Straße brüllte der von der NSDAP eingesetzte Bürgermeist Jost: „Reiser! Pass bloß auf, Dachau ist nicht weit und hat noch viel Platz.“ Der parteilose Bäcker Hans Reiser war ihm ohnehin ein Dorn im Auge.

Nach dieser düsteren Schilderung wusste Reiser aber auch noch Amüsantes zu berichten.  So besserte er in der Nachkriegszeit sein Taschengeld damit auf, indem er die Zigarettenkippen und manchmal sogar die Filtertüten mit noch feuchtem Kaffeepulver aufsammelte und weiterverkaufte. Nachdem Heinrich Zapf und seine Auftanzmusikanten nach über zwei Stunden ihr letztes Lied spielten, gingen viele ältere Wolfratshauser mit aufgewärmten Erinnerungen im Kopf nach Hause. Es blieb die Erkenntnis, dass noch genügend Stoff für weitere historische Abende dieser Art übrig bleibt.

Fotos: Peter Herrmann


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