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Bodecker & Neander in Icking

Phantastische Entdeckungsreisen

von Claudia Koestler

Icking, 5.11.2016 – Diese zwei machen Menschen still. Und zwar ohne jede Gewaltanwendung. Wenn Wolfram von Bodecker und Alexander Neander alias „Bodecker und Neander” auf der Bühne im Licht stehen, meist schwarz gekleidet, scheinen selbst Uhren zu ruhen. In ihren Gesichtern lässt es sich lesen wie in einem Buch, die weisse Schminke ist dabei dienlich. Und wenn sie Instrumente spielen oder ein Grammophon bedienen, vergisst man, dass die Geräte gar nicht existieren. Noch mehr als ihre Technik fasziniert aber ihr poetischer Humor, der die geheime Verwandtschaft mit Charlie Chaplin und Buster Keaton begründet. Und das Resultat ist nicht weniger als ein atemberaubend fesselnder Abend, der zu einem Triumph der Fantasie wird. Zum Beispiel am vergangenen Wochenende, als die beiden Pantomimen im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Icking Abo Dorfen” gleich mehrfach im Dorfener Vereineheim auftraten.

Wolfram von Bodecker und Alexander Neander haben ihr Handwerk bei einem Großmeister der Pantomimekunst gelernt, an der „Ecole International de Mimodrame Marcel Marceau" in Paris nämlich. Und zwar so erfolgreich, dass der legendäre Altmeister sie anschließend zu seinen Bühnenpartnern machte.

Nach seinem Tod gründeten die beiden ihr eigenes Duo und ziehen seitdem mit ihrem „visual theatre", wie sie ihre Form der Darbietung nennen, um die Welt. „Der Begriff steht für ein stummes Theater, das von der Kunst lebt, Mimenspiel und Körperbewegung gekonnt miteinander zu Clownerie, Slapstick, Körpertheater und Tanz, aber auch Elemente der Laterna Magica, des Films und des Schwarzen Theaters zu integrieren”, erklären sie selbst auf ihrer Webseite.

In der Tat, feiner Humor zeichnet ihre stille Kunst aus, Präzision und vor allem Spielfreude. Slapstick, zauberhafte Überraschungseffekte, ausdrucksvolles Minenspiel gab es für das Publikum in den reihenweise ausverkauften Veranstaltungen in Dorfen zu sehen, als „Bodecker und Neander” Kostproben ihrer Kunst darboten.

Ein guter Pantomime muss über eine beachtliche Körpersprache und Körperbeherrschung verfügen, außerdem müssen Gestik und Mimik alle Gefühlsregungen zeigen, die ein Schauspieler sonst mit dem gesprochenen Wort ausdrückt: Ist die dargestellte Gestallt glücklich oder traurig, ist sie erstaunt oder gleichgültig? All das muss dem Künstler anzusehen sein und nur so kann das Publikum miterleben, was ihn bewegt. Bodecker und Neander können das, beneidenswert geschmeidig und ausdrucksstark. Und noch viel mehr: Sie verstehen sich darauf, technische Perfektion und Poesie brillant zu verbinden, wobei die Vorstellungskraft jedes einzelnen Zuschauers gefordert ist. So erzählen sie Geschichten, die keiner Worte bedürfen, den Zuschauer trotzdem berühren und herzlich lachen lassen. Immer wieder wurde das Publikum in Dorfen eingeladen, sich auf unbekannte Sichtweisen einzulassen und sich mit den Künstlern auf phantastische Entdeckungsreisen zu begeben.

Zum Beispiel zu Beginn, als zwei Herren in Gehröcken, einer mit übergroßem Zylinder, der andere mit Barett, mit hochgeschlagenen Mantelkrägen über die Bühne stapften. Es plätschertt, es regnete und stürmte. Als es ihnen gelang, einen Schirm aufzuspannen und endlich im Trockenen zu stehen, erklang Musik: Die beiden spielten imaginär Akkordeon und Bass zu einer französischen Melodie. Doch als das Plätschern langsam wieder zunahm, ronnen ihnen die Instrumente durch die Finger. Nur ein kurzes Echo erinnerte im neuerlichen Sturmgebraus noch einmal an jenen kurzen Moment des Glücks.

Per Tafel kündigten sie die nächste Episode an: „Der Gewinn“. Zwei Männer verfolgten auf der Galopprennbahn enthusiastisch die Pferde, und als das ihre tatsächlich gewann, waren die Träume fast zum Greifen nah: Ein schnelles Auto vielleicht? Oder Champagner? In jedem Arm eine Frau? Doch wo war eigentlich der Gewinnschein? Sie suchten, und als der eine schon verzweifelt weinend auf die Knie sank, fand der andere ihn doch noch in der Hosentasche. Den Kumpan noch ein bisschen tratzen – das musste noch drin sein, oder? So schlich sich der Finder an den still Verzweifelten heran und ließ den Gewinnschein in kleinen Flocken von oben auf ihn herabrieseln. Der Schein, da war er – doch so zerfetzt? Wie gewonnen, so zerronnen eben.

Mit ganz großen Gesten und voller Selbstüberzeugung trat „der Dompteur” auf: mit einem Reif, durch den auch das wildeste Tier springt. Nur jenes nicht, das da in einer Tüte lauerte. Hochmut und Fall lagen eng beieinander, bis am Ende der Erfolg da war – aber prompt der Kollege dem Dompteur die Jacke umdrehte, die so zur Zwangsjacke wurde.

Noch furioser wurde es in der zweiten Hälfte, als ein Streit zwischen Kellner und Gast in einem Caféhaus zu einer Krimijagd à la James Bond eskalierte. Oder eine Beethoven-Klaviersonate zur bizarren Machtprobe zwischen dem umblätternden Assistenten und dem Pianisten wurde.

Wer dachte, dass Pantomime als Kunstform antiquiert erscheint, erlebte hier zweifellos, wie faszinierend wortlose Szenen von berührender Poesie und erfrischender Impulse noch immer, oder vielleicht wieder, sein können. Mitreißend und von bewegend schöner Zeitlosigkeit waren diese Episoden, wenn Bodecker und Neander Tücken und Eitelkeiten zu einem Ereignis machten. Ob kleine Nonchalance oder große Naivität, die ganze Welt lag in einem einzigen Blick, einer hochgezogenen Augenbraue, einem leichten Anspannen der Mundwinkel. Und nur der rasende Jubel und Applaus des Publikums durchbrach am ende den Mikrokosmos der Stille. Auch ohne Worte: Die Hoffnung des Publikums auf ein Wiedersehen dürfte klar geworden sein.

Fotos: Daniel Rudzki, Piotr Wacowski, Warsaw
Katarzyna Chmura-Cegiełkowska


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