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13.07.2010

Barfuß am Bergwald

Barfuß am Bergwald

Unsere Autorin Andrea Weber hat sich auf den Weg gemacht und erfahren, wie weit die Flöhe springen und wie sich der Waldboden barfuß anfühlt.

Da stehe ich nun in der Wolfratshauser Altstadt neben der Stadtkirche St. Andreas und halte einen Plan in der Hand auf dem steht: „Den Bergwald erleben“. Das will ich auch und mache mich auf den Weg. Soweit mein Auge reicht, geht es treppauf, am Kirchengebäude rechts vorbei, bis zum grünen Mischwalddickicht. Nun gut, denke ich, und steige Stufe für Stufe hinauf, mein Puls steigt kontinuierlich mit. Auf halber Wegstrecke komme ich an einem niedlichen Landhäuschen vorbei, mit einer Aussicht über Wolfratshausen bis ins Bergland hinein, die mich neidisch werden lässt. Ein possierlicher Garten vorneweg wirkt wie anno dazumal und auf einem Messingschild an der Hauswand steht, dass hier vom Mai bis Oktober 1897 der Dichter Rainer Maria Rilke mit seiner Gefährtin Lou Andreas Salome lebte und wirkte. Doch des Dichters wegen bin ich ja nicht her gekommen, also gehe ich weiter und stehe bald am Startpunkt des neu erbauten Bergwalderlebnispfades. Dort begrüßt mich der Wolf „Lupus“ auf einem hölzernen Hinweisschild. Das buntstiftgemalte Comic-Tier verspricht, sich ab sofort um mich zu kümmern. Er wird mir den Weg weisen, mir an den 13 Stationen den Wald, seine Bewohner und das Ökosystem erklären und mich zum Ausprobieren animieren. Lupus ist gleich per du mit mir, weil er davon ausgeht, dass ich ein Kind bin.


Die Idee zu diesem Bergwalderlebnispfad hatte der Verein „Lebendige Altstadt Wolfratshausen“ zusammen mit dem Förster Robert Nörr. Die detaillierte Realisierung aller Stationen mit den Kind gerechten Informationen und den Erlebnis-Aufgaben in der Natur sowie den Zeichnungen von „Wolf Lupus“, erarbeitete die Studentin Julia Fabi im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Fachhochschule Weihenstephan. Julia Fabi studierte Wald- und Forstwirtschaft und will mit diesem Projekt die Begeisterung für den Wald bei Familien wecken. Die Kosten für dieses Projekt wurden auf 50.000 Euro veranschlagt, laut Gisela Gleißl, Referentin für Kultur-, Tourismus- und Wirtschaftsförderung in Wolfratshausen. Fünfzig Prozent finanzieren sich durch die Leaderfördermitteln aus dem EU-Topf, den Rest zahlt die Stadt aus ihrem Säckel. Gisela Gleißl hat schon viel positive Resonanz bekommen: „Der Bergwald bedeutet den Wolfratshausern sehr viel, denn es ist ein Naherholungsgebiet, das direkt von der Innenstadt erreichbar ist.“

Mit Wolf Lupus von einer Wald-Station zur nächsten

Ich bin neugierig geworden und folge den Hinweispfeilen, die mich bergauf führen. Bald sehe ich die erste „Natur-Station“. Eine hölzerne Infotafel wartet dort auf mich, mit der Frage: „Ist der Wald ein Lieferant?“ Ja, das ist er, und was für einer, das sehe ich gleich  nebenan auf einer noch größeren Schautafel, wo Holzscheitel, Pellets, Pappe und Korken mich zum Anfassen verführen. Das ist mir zu unspektakulär, denke ich, und wandere weiter. Eine Weile später und jede Menge Treppenstufen höher, kommt die erste Experimentierstation auf mich zu. „Der Schwamm des Waldes“ heißt es hier und Comic-Wolf Lupus will von mir wissen, ob ich weiß, wohin das ganze Regenwasser fließt. Da trifft er bei mir den wunden Punkt, denn was mit dem Regenwasser passiert, sehe ich gerade live. Es ist wieder einmal einer dieser tristen Regentage, der nicht enden will. Egal – ich bin nicht bockig und tue was Lupus rät. Ich nehme die verbeulte Kanne, fülle sie am kleinen Bachlauf mit Wasser und schütte den Inhalt auf einen Experimentiertisch, der zur Hälfte mit erdigen Waldboden und zur anderen Hälfte mit steinigem Kies gefüllt ist und warte ab was passiert. Klar doch – Laub und Erde saugen auf, Steine nicht.
Bei dem Wetter bin ich ganz alleine unterwegs und der Geräuschpegel der nahen Wolfratshauser Zivilisation beruhigt mich. Inzwischen habe ich die halbe Strecke bewältigt, die mich an den Beginn einer Bergtour erinnert. Ein Gedenkschild am Wegesrand lässt mich kurz innehalten, darauf steht, dass hier einst das „Fahnensattlerhaus“ des Kunstmalers Hermann Neuhaus stand, der von 1916 bis zu seinem Tode 1941, hier mitten am Berghang auf halber Höhe wohnte. Er war der Maler, der die evangelische Kirche in Wolfratshausen ausmalte. Neben viel Natur, lernt man hier auch Kultur.

„Wehe, wenn mich die Heuschrecken zwicken“

An Station Nummer drei wird es endlich ernst. Hier lautet der Befehl von Comic-Wolf Lupus: „Ziehe Deine Schuhe und Strümpfe aus und spüre die Natur.“ Also mache ich meine Füße nackig und steige vorsichtig spitz um das künstlich, angelegte Natur-Kare aus verschiedenen Bodenbeschaffenheiten. „Hoffentlich zwickt mich hier nichts“, denke ich, und will gar nicht genau darüber nachdenken, was im Waldboden wimmelt, zwischen Baumstücken krabbelt, im Kies gräbt, und im fauligen Laub wuselt. Einmal steige ich den Parcours herum und spüre die Natur unter meine Fußsohlen recht unangenehm piecksen. Das wäre geschafft, ich gehe weiter und muss am Rande eines Golfplatzes vorbei. Drei Damen haben meiner Meinung nach, noch nicht das richtige Ballgefühl und die Schlagtechnik drauf. Vorsichtshalber ziehe ich den Kopf ein, drehe mich nicht um, gehe langsam weiter und warte auf die harte Kopfnuss von hinten. Doch sie bleibt glücklicherweise aus.


An Station Nr. 7 soll ich testen, wie weit ich springen kann. Lupus der Wolf erklärt mir: „Wusstest du, dass der beste Mensch im Weitsprung „nur“ das 5-fache seiner Körpergröße erreicht. Der Weltrekord liegt bei 8,95 Meter.“ Ob ich das auch schaffe? Ich nehme Anlauf und dabei wird mir klar, dass ich das schon lange nicht mehr getan habe.  Ich hoffe meine Knochen machen mit. Gut, dass die Weitsprungkiste mit weicher Häckselspäne gefüllt ist. Ich springe ab, wie in Zeiten meiner besten Schulwettkämpfe, ich fliege durch die Luft, ich fühle mich jung und frei und lande beim Hinweisschild „Der Floh.“ Ich ahne Peinliches und tatsächlich bin ich nur 0,6 Meter weit gesprungen und somit, laut Erläuterung auf dem Hinweisschild, das 200-fache der Körpergröße eines solchen kleinen Krabblers. Gut, dass das niemand sah. Ich schleiche davon.


Talabwärts Richtung Ausgangspunkt komme ich noch vorbei, wo der „Marder mit dem Eichhörnchen telefoniert“, wo es „Klatsch und Tratsch aus dem Wald“ zu lesen gibt, wo der „Wald zum Singen beginnt“ und „Totgeglaubtes voller Leben“ ist. Ich kann sehen wie alt ein Baum wird und wie verborgen die Waldbewohner leben. Nach einer Stunde Bergspaziergang komme ich zurück in die Zivilisation der Wolfratshauser Altstadt. Eine alte Dame begegnet mir, auch sie will hinauf, dorthin wo man den Bergwaldboden barfuß fühlen kann.

Download Broschüre Waldlehrpfad (PDF)


Für die Inhalte der Veranstaltungen tragen die jeweiligen Veranstalter die Verantwortung.

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