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Luise Kinseher auf dem Flussfestival 2017 in Wolfratshausen

Vom Wellnessen, Relaxen und Balancen

Von Benjamin Engel

Wolfratshausen, 15.7.2017 – Heutzutage ist jeder gestresst – im Berufsleben wie in der Freizeit: Luise Kinseher braucht nur kurz das Publikum zu fragen, um sich das bestätigen zu lassen. Denn schließlich muss ja heute jeder möglichst lang jung und agil bleiben. Das war früher besser: Die Menschen sind schneller gealtert, hatten aber einfach mehr Zeit dafür. Die Tante Traudi schaute schon mit 30 wie 60 aus, blieb aber so bis 90. Die Kinseher ist dagegen schon seit 18 Jahren dreißig und weiß ganz genau, dass sie das nicht mehr lange durchhält. Ein Haus, Kinder, einen erwachsenen Mann wie andere Frauen ihres Alters hat sie nicht, ganz zu schweigen von der Altersvorsorge. Kinsehers Antwort: Ruhe bewahren.

Für die Zuschauer ist es bei diesem Donnerstagabend am Wolfratshauser Flussfestival eine echte Herausforderung, still auf den Sitzen zu bleiben. Denn die Kabarettistin bringt sie so oft zum Lachen – und das gleich in drei Rollen. In ihrem mittlerweile sechsten Soloprogramm mit dem Titel „Ruhe bewahren“ spürt Kinseher den Nöten des modernen Menschen nach zwischen der Suche nach dem Sinn des Lebens und der großen Liebe. Und beides ist im daueroptimierten Lebensrhythmus nur allzu leicht zu verpassen.

Die „Mary from Bavary“

Da darf die Bühnenfigur der dauerhaft beschwipsten „Mary from Bavary“ in ihrem geblümten Morgenmantel kaum fehlen. Die will von den Zeitgeist-Phänomenen ihrer Freundinnen mit Wellness, Relaxen und Balancen gar nichts wissen. Statt Yoga, Power Nap und herabschauendem Hund hockt sie viel lieber im Stüberl. Und das Obst gibt es für sie im Stamperl. Doch das alte Stammstüberl in Giesing gibt es nicht mehr. Stattdessen serviert der Kellner in der jetzigen Lounge den Hopfen-Smoothie im 0,2 Liter Glas. Als dann noch eine Freundin klagt, dass das Meditieren so anstrengend sei, weil sie dabei nichts denken dürfe, reicht es der Mary. „Wo ist das Problem. Ich denke auch nichts“, ruft sie verärgert.

In ihrem beigen Staubmantel bleibt dagegen Helga Frese hanseatisch-kühl. Für die Beerdigung von ihr und ihrem Mann Heinz hat sie schon einmal alles vorbereitet. Sogar der Grabstein mit Inschrift steht schon an seinem Platz am Friedhof. Es fehlt nur noch das Datum. Und für alle Fälle hat Frau Frese schon einmal den Leichenschmaus vorgekocht und tiefgefroren. Und nach Jahrzehnten mit Streitereien führen die Freses nun eine harmonische Ehe. Denn jetzt sind sie sich in allem einig, seit Heinz alles vergessen hat.

Bergkräutersalze in der Badewanne

Und dann sind da ja auch noch die Männer. Und von wegen große Liebe: Die war bisher nur Fehlanzeige. Auf den argentinischen Tangolehrer, der stundenlang mit seinen südamerikanischen Bergkräutersalzen in der Badewanne zubrachte, musste sie nur warten. Ein anderer hatte vor lauter Terminen und Zeitdruck noch nicht einmal die Ruhe für ein gemeinsames, gemütliches Frühstück. Zeit nimmt sich die Kabarettistin an diesem Abend nicht, zieht sogar einen Autoschlüssel aus der Tasche hervor, den eine junge Frau im Publikum auf dem Festivalgelände an der Loisach verloren hat. Und zwischendurch fragt sie einzelne Zuschauer nach ihren Berufen. Dass da einer darunter ist, der echte Banknoten druckt, zaubert ihr ein Grinsen ins Gesicht. „So jemanden wollte ich schon immer einmal kennenlernen“, sagt sie.

Ganz spontan nimmt Luise Kinseher an diesem Abend immer wieder persönlichen Kontakt mit dem Publikum auf. Sie improvisiert, spielt furios und träumt von einem Evolutionssprung der Menschheit zu einer Zeit, in der es keine Politiker mehr braucht. Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre dann Friseuse, US-Präsident Donald Trump deren bester Kunde, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wäre Busfahrer und Finanzminister Markus Söder Kindergärtner. Und als Kinseher in der Rolle der Mary auch noch deren „Top Charts Number One Top Title“ in den USA anstimmt, lasziv mit den Hüften schwingt und zum Schluss jodelt, tobt das Publikum.

Auf den Auftritt der Kabarettistin hat an diesem Abend übrigens das Duo „The Picking Project“ eingestimmt. Mit ihrem gefühlvollen Gitarrenspiel setzen der Wolfratshauser Chirurg Andreas Oberniedermayr und Ingenieur Clemens Baumgartner einen musikalisch-erfrischenden Kontrapunkt.

Fotos: Benjamin Engel


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