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100 Jahre Tölzer Hütte

Ein Kraftort am Rand der Welt

Von Benjamin Engel

Oberland, 24.10.2024 - Die Tölzer Alpenvereinssektion hat ihre Hütte am Schafreuter vor einem Jahrhundert fertiggestellt. Der Bau war mühsam, weil die Arbeiter das meiste von Hand auf den Berg bringen mussten. Dafür entschädigt die grandiose Umgebung.

Mit freiem Fernblick auf die Felszackenkette des Karwendel Richtung Südwesten formt sich der Sattel zwischen dem Schafreuter und dem Delpsjoch wie ein natürlicher Aussichtsbalkon. Damit könnte sicherlich zusammenhängen, dass die Tölzer Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) genau diese Stelle als Standort für ihre Hütte gewählt hat. Heuer wird das Gebäude, das die Mitglieder seitdem regelmäßig saniert und insbesondere unter ökologischen Gesichtspunkten modernisiert haben, hundert Jahre alt. „Das Zeitlose und das Friedliche – beides prägt die Tölzer Hütte seit einem Jahrhundert“, schreibt der aktuelle Vorsitzende Benedikt Hirschmann in einem neu zur Bauhistorie und Entwicklungsgeschichte erschienenen Buch- „Es ist ein Kraftort, den man in Gedanken mit ins Tal nimmt, von dem man an dunklen Tagen zehren kann. Ein Stück weit Ewigkeit am Rand der Welt.“

So mag es dem ein oder anderen manchmal vorkommen, gelangen Wanderer zur Tölzer Hütte bis heute nur über schmale Bergsteige. Entsprechend anspruchsvoll war es, in der ersten Hälfte der 1920er-Jahren am Standort zu bauen. Nur Steine, um Wände zu mauern, gab es am Berg genug. Dafür konnten die Quader direkt aus dem Fels hinter der heutigen Hütte herausgebrochen werden. Alle anderen Materialien mussten mühsam auf den Berg geschleppt werden. Die Arbeiter mussten etwa das Holz für Deckenbalken oder den Dachstuhl aus dem fast tausend Höhenmeter tiefer gelegenen Rissbachtal nach oben transportieren. Das hieß das Material zu schultern und zu Fuß bis auf 1825 Meter Seehöhe am Berg zu befördern. Zur Entlastung hatte die Sektion wenigstens zwei Mulis als Transporttiere kaufen können.

Etwas mehr als zwei Jahre – am 25. Juni 1922 fand die Grundsteinlegung statt, am 5. Oktober 1924 wurde die Tölzer Hütte feierlich eingeweiht – dauerten die Bauarbeiten, für die Hüttenreferent Martin Aschenbrenner federführend verantwortlich war. Bis es 1923 geschafft war, den Winterraum und den Mulistall fertigzustellen, mussten die Bauarbeiter täglich um 5 Uhr früh aufstehen und am gleichen Tag abends wieder ins Tal hinunter. Ein beschwerlicher Tagesrhythmus. Wirklich komfortabel muss es anschließend aber nicht gewesen sein, am Berg übernachten zu können. Im Buch wird Hans Beil ausführlich zitiert. Der Sohn von Baumeister Kaspar Beil schilderte Jahrzehnte später den harten Arbeitsalltag, zu dem etwa auch zählte, dass es teils dreimal Schmarrn als einziges Essen am Berg gab. Zum Anmachen diente das Wasser aus der Quelle hinter dem Haus.

„So schmecken die Berge“

Für heutige Gäste muss die Tölzer Hütte naturgemäß mehr bieten. So machen die aktuellen Pächter bei der Aktion des Alpenvereins „So schmecken die Berge“ mit. Das bedeutet, dass der Großteil der verarbeiteten Lebensmittel aus der Region stammt. Das ganze Essen und alle Getränke auf den Berg zu bringen, erleichtert ihnen heutzutage wenigstens die im Jahr 1970 fertiggestellte Materialseilbahn. Damals halfen 17 Helikopterflüge, die Eisenteile, das Seilbahnmaterial und einen VW-Motor auf den Berg zu bringen. Bis die Tölzer Sektion aber zu bauen beginnen konnte, sollte es sieben Jahre dauern. Denn Jagdpächterin Prinzessin Liliane – Ehefrau des ehemaligen belgischen Königs Leopold III. – stellte sich quer. Sie fürchtete laut der Veröffentlichung der Tölzer Alpenvereinssektion, dass damit das Wild in ihrem Revier gestört werden könnte. Schließlich erklärte die Prinzessin zwar niemals zuzustimmen, aber erklärte, eine ihren Wünschen widersprechende Entscheidung der österreichischen Regierung zu akzeptieren. Die Grenzhäuschen zwischen dem bayerischen Vorderriß und dem österreichischen Hinterriß sind längst unbesetzt. Unproblematisch ist es zwischen den Nachbarländern hin und herzuwechseln.

Dass die Tölzer Hütte schon im österreichischen Tirol steht, machte den Stützpunkt für Mitglieder und Gäste zu früheren Zeiten allerdings teils unerreichbar. Zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 11. Juli 1936 galt etwa die sogenannte Tausendmarksperre. Das NS-Regime verlangte von jedem deutschen Staatsbürger tausend Reichsmark zu zahlen, bevor er nach Österreich reisen durfte. Das machte solche Unternehmungen weitgehend unmöglich.

Solche Zeiten liegen lange zurück. Die Tölzer Hütte präsentiert sich seit 2021 generalsaniert. Und wenn das Wetter einmal zu kalt sein sollte, um draußen zu sitzen, erlaubt die neue Panoramastube großartige Ausblick auf das Karwendel durchs Fenster. Verändert haben mag sich im Jahrhundert ihres Bestehens eben einiges. Die grandiose Natur rundherum wirkt jedenfalls unverändert faszinierend.

Fotos: Alpenvereinssektion Tölz


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