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Stadt Wolfratshausen

Testen im Kunstraum

Von Andrea Weber

Wolfratshausen, 13.4.2021 - Als einst Anton Schwankl 1826 in seiner Buchbinderwerkstatt in Wolfratshausen Papierseiten falzte und das Leder für den Einband schnitt, hätte er wohl nie erahnen können, was 200 Jahre später auf die Menschheit zu kommen sollte. Eine Pandemie, die über alle Kontinente fegt, Millionen Todesopfer fordert und die Wirtschaft und Politik in die totale Schieflage bringt. Das historische Eckgebäude am Schwankl-Eck, wo einst Buchbinder Anton mit Ahle und Zwirn hantierte, hat heute der Kulturverein Isar-Loisach angemietet, eigentlich für Kunst und Kultur. Seit vergangenen Dezember befindet sich dort die erste Corona-Teststation im Tölzer Landkreis. Eine Eigeninitiative von ehrenamtlichen Mitgliedern verschiedener ortsansässiger Vereine. Inzwischen stehen täglich Menschen die Straße der Wolfratshauser Altstadt entlang, um sich kostenlos testen zu lassen, nur um einen Moment der Normalität zurück zu bekommen.

„Wie sollen sich das Menschen mit Grundsicherung leisten können?“

Ines Lobenstein ist es gewohnt pragmatisch zu handeln, als Obdachlosen-Beauftragte der Caritas in Wolfratshausen. Als der Bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder vor Weihnachten verkündete, dass Menschen mit negativem Test ihre Angehörigen im Pflegeheim besuchen dürften, fackelte Lobenstein nicht lange. Sie erfuhr, dass die Durchführung von Testungen in den ortsansässigen Pflegeheimen aus Kapazitätsgründen schwierig sei und Corona-Tests in Hausarztpraxen bis zu 80 Euro kosteten. „Wie sollen sich das Menschen mit Grundsicherung leisten können?“, sagt die 55-Jährige. Lobenstein holte sich den Wolfratshauser Arzt Dr. Jens Klein ins Boot, kümmerte sich um Schnelltests zum Einkaufspreis und der Kulturverein Isar-Loisach bot seine angemieteten Kunsträume am Schwankl-Eck an, um dort anstelle farbenfroher Kunstwerke nun Teststäbchen und Tropfschälchen aufzustellen. Zwei Tage vor Weihnachten ging die neue Corona-Teststube an den Start, ursprünglich nur über die Feiertage. Doch Woche für Woche entschieden die Organisatoren: „Wir machen weiter.“ 

"So viele Menschen habe ich noch nie zum Weinen gebracht."

Im Schnitt kommen täglich rund 100 Menschen in einem Zeitraum von gut einer Stunde, um sich hier kostenlos testen zu lassen. „Das geht wie am Fließband“, sagt Lobenstein. So ernst die Lage auch ist, sie hat ihren Humor behalten: „So viele habe ich noch nie zum Weinen gebracht.“ Sie meint damit die Tränen, die beim unangenehmen Pinseln an der Nasenwurzel entstehen. Die Menschen seien dankbar und erzählen, warum sie da sind. Ein alter Herr zum Beispiel habe wöchentlich das Angebot in Anspruch genommen, weil er seine Frau im Pflegeheim besuchte, bis sie verstarb. Seitdem kommt er nicht mehr. Eine Frau weinte aus Angst, dass die Teststation wieder schließen könnte. „Dann kann ich meine Mutter nicht mehr sehen.“ 2000 Mal haben sie schon das Teststäbchen in die Nasenflügel der Testwilligen eingeführt und dabei 13 Corona-Positive entdeckt. Das klingt wenig, aber jeder erkannte Infizierte ist ein kleiner Schritt, die Pandemie einzudämmen. Der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ließ sich kürzlich im Schwankl-Eck testen, auch um den Aktiven in seiner Heimatstadt seinen Dank und Respekt zu zollen. „Ich bin beeindruckt, wie das Team um Frau Lobenstein hier früh mit den Testungen begonnen hat und wie selbstverständlich sich Engagierte der örtlichen Vereine zusammengetan haben. Diesen Gemeinschaftssinn finde ich großartig“, sagt Stoiber.

„Wir müssen was tun, und nicht warten, bis andere was tun.“

Drei Monate gibt es die Teststation am Schwankl-Eck nun schon. Drei Monate haben sie Erfahrung gewonnen, drei Monate Logistik und Organisation verbessert. „Uns war von Beginn an klar, wir müssen was tun und nicht warten, bis andere was tun“, sagt Robert Klingel, erster Vorsitzender der DLRG Schäftlarn-Wolfratshausen, die inzwischen vom Landkreis als Betreiber der Teststube am Schwankl-Eck eingesetzt wurden. Damit sei nun auch die finanzielle Seite endlich geklärt und gewährleistet. Die DLRG bekommt eine angemessene Aufwandsentschädigung für Personal, Hygiene und Beschaffung der Tests im Rahmen der Testverordnung vom Freistaat, laut Klingel. 

Wolfratshausen will nun weitere Testkapazitäten ausbauen. Unterstützer gibt es genug: Neben der DLRG, dem Kulturverein Isar-Loisach sind auch die freiwillige Feuerwehr Weidach und die Bergwacht Wolfratshausen mit an Bord. Deshalb hat sich die Stadt Wolfratshausen jüngst für das Pilotprojekt „Corona-Tagesticket“ beim Freistaat beworben. Dazu haben die dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth, Stadträtin Dr. Ulrike Krischke mit den Aktiven Ines Lobenstein und Robert Klingel ein detailliertes Konzept ausgearbeitet.

Das „Tagesticket Wor – mit Sicherheit unterwegs“

Wie überall, liegt auch in Wolfratshausen das gesellschaftliche Leben brach. Einzelhandel, Kulturstätten und Gastronomie dürfen nicht öffnen. Viele Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht. Mit dem Konzept „Tagesticket Wor“ soll der Zutritt der geschlossenen Betriebe und Kulturstätten durch einen tagesaktuellen Schnelltest ermöglicht werden. Das Konzept sieht deshalb weitere Teststationen im Stadtgebiet vor, dort sollen von ausgebildetem Personal kostenlose PoC Antigen-Schnelltests angeboten werden. Bei einem negativen Testergebnis wird eine schriftliche Bestätigung ausgefüllt oder eine digitale Bestätigung per App ausgestellt. Das Tagesticket Wor behält eine Gültigkeit von 24 Stunden. Damit soll den Bürgern und Bürgerinnen der Eintritt in den Einzelhandel, Außengastronomie, Kulturveranstaltungen und ins Kino unter strengen Hygienevorgaben wieder erlaubt werden. Die Entscheidung, ob Wolfratshausen alle Bedingungen erfüllt und zu den vom bayerischen Gesundheitsministerium ausgewählten Pilotstädten in Bayern gehören wird, läuft derzeit noch. Für Stadträtin Krischke sei das die einzige Perspektive, um wieder ein weitgehend normales Leben führen zu können. 

Derweil wird im Schwankl-Eck kostenlos getestet und getestet. Noch ist kein Ende absehbar, noch wird die Schlange der Testwilligen täglich länger. Die Kapazität der Teststation am Schwankl-Eck in der Altstadt von Wolfratshausen kommt an ihre Grenzen. Der Ausbau weiterer Teststationen ist notwendig, das unterstützt auch der Erste Bürgermeister Klaus Heilinglechner. Er ist sich mit den Initiatoren einig, dass auch ohne der Aufnahme ins bayerische Pilotprojekt „Corona-Tagesticket“ der Ausbau der Testzentren in Wolfratshausen weitergehen muss. „Wir brauchen kreative Wege aus der Krise, und dürfen uns nicht dauerhaft den Inzidenzwerten hingeben“, sagen die Initiatoren.

Fotos: Andrea Weber

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