Das Magazin für das Bayerische Oberland
So280
28. Apr 2024
Mo290
29. Apr 2024
Di300
30. Apr 2024
Mi010
01. May 2024
Do020
02. May 2024
Fr030
03. May 2024
Mo060
06. May 2024

Traditioneller Kocherlball in Bad Tölz

Im Galopp der Sonne entgegen

Bad Tölz, 23.06.2022, red. - In Bad Tölz findet nach coronabedingter Pause wieder der traditionelle Kocherlball statt. Mehr als einhundert Tanzbegeisterte und zahlreiche neugierig angelockte Gäste wirbeln schwungvoll über die Terrasse des ehrwürdigen Kurhauses zu virtuosen Klängen der Musicanti Bavaresi.

Natürlich ist das ein gefundenes Fressen für jeden Berichterstatter: Beginnt ein Termin wie der Tölzer Kocherlball in aller Herrgottsfrühe, lässt sich wunderbar über die Frage sinnieren, ob die Veranstaltung auch wirklich etwas für Ausgeschlafene ist. Sechs Uhr morgens steht in der Einladung, und so heftig das an einem Sonntag heutzutage auch klingen mag: Es macht durchaus Sinn, schließlich ist der Name Programm. Schließlich hatten früher die „Kocherl“, also das Küchenpersonal, die Dienstmägde und Diener nur ganz am frühen Morgen Zeit, bevor ihre Arbeit begann und die Herrschaften noch im Bett waren. Für die niederen Stände also die einzige Möglichkeit, einen Ball zu besuchen, weil sie wieder arbeiten mussten, wenn ihre Herrschaften aufgestanden waren und aus der Kirche kamen.

Ein sonniger Sommermorgen wie aus dem Bilderbuch

2014 hatte die Stadt Bad Tölz die Tradition wieder aufgegriffen, pünktlich zum 100. Geburtstag des ehrwürdigen Tölzer Kurhauses, und seither den Kocherlball als jährliches Ereignis zelebriert. Bis zur zweijährigen, coronabedingten Zwangspause. Nun aber passte wieder alles: keine pandemischen Einschränkungen oder gar schlechtes Wetter, stattdessen ein sonniger Sommermorgen wie aus dem Bilderbuch lockte weit mehr als 100 Tanzbegeisterte bereits vor dem offiziellen Beginn um sechs Uhr morgens auf die Terrasse des Kurhauses. Vielleicht nicht restlos ausgeschlafen, dafür aber waren Musiker wie Tanzende und Zaungäste allesamt wortwörtlich aufgeweckt.

Viele von ihnen kamen in Tracht, auch einen Magistratsrock konnten Beobachter erkennen: der Tölzer Zweite Bürgermeister Michael Lindmair hatte sich entsprechend fein gemacht. Nur historische Magd- und Knechtgewänder waren nicht vertreten – im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen. Doch das tat der fröhlichen und beschwingten Stimmung keinerlei Abbruch. Besonders erfreulich, dass der Tölzer Kocherlball ein durchweg bunt gemischtes Publikum anlockt, von Kindern und Jugendlichen über Arbeitende und Ruheständler sind alle Altersgruppen im Tanz vereint, und Einheimische mit Volkstanz-Affinität locken Zugezogene und Gäste gleichermaßen mit auf´s Parkett.

Als Tanzmeister Philipp Korda pünktlich auf die Minute „Geh´ma, geh´ma“ rief und die Musicanti Bavaresi den „Tölzer Schützenmarsch“ virtuos und frisch darboten, war jedenfalls alle Müdigkeit verflogen: Eine bunte Menge von rund 70 Tänzerinnen und Tänzern folgte, drehte sich, formierte Zug und Gegenzug zu Liedern wie „Glückliche Herzen“ oder „Vergnügungszug“, „Fächer-Polonaise“ oder „Wiener Spezialitätenmarsch“. Das Programm eine Mischung aus Walzer, Polka, Mazurka und Galopp.

Wie früher im bayerischen Biergarten

Kurz darauf war schon wieder Zeit für Kaffee, Brotzeit und einen Ratsch. Denn auch das ist der Tölzer Kocherlball: Eine Gelegenheit, alte Bekannte zu treffen und mit neuen ins Gespräch zu kommen, und das wie früher im bayerischen Biergarten, denn viele hatten sich ihr Frühstück oder ihren Kaffee und Kuchen in Körben selbst mitgebracht. Wer das versäumt hatte: Die Gastronomie des Kurhauses war auch präsent und versorgte die Gäste ihrerseits, falls nötig. So gestärkt und nett unterhalten konnten sich in der nächsten Runde auch diejenigen, die anfangs noch von den Sesseln unter den Arkaden aus die Szenerie beäugt hatten, dem Rhythmus nicht mehr entziehen. Touristen aus Nordrhein-Westfalen, eigentlich eher in Beobachterposition unterwegs, wurden einfach integriert und wirbelten fortan selbst übers Parkett.

Es sei „eine absolute Freude“, sagte Korda, „die Atmosphäre hier in Tölz ist schon etwas Besonderes. Entspannt und frohgemut, so würde ich es beschreiben“, sagt der Tanzmeister aus dem Unterallgäu, der auch schon beim Münchner Tanzboden im Hofbräuhaus die Schritte vorgab. Rund eineinhalb Stunden später waren aus den anfänglich 70 Tänzern längst mehr als 100 geworden.

Authentisch und nachhaltig beschwingend

Die Tölzer Veranstaltung ist, bleibt am Ende zu sagen, auch ein Pendant zum Münchner Kocherlball, den die Stadt bereits 1989 wiedereingeführt hatte. Doch während dort unter dem Chinesischen Turm sich jährlich Tausende drehen und walzen, es also zu einer touristischen Massenveranstaltung geworden ist, ist es in Tölz am Kurhaus kleiner, aber gerade deshalb authentisch und nachhaltig beschwingend. Und so nimmt es nicht wunder, dass am späten Vormittag, als der Ball zu Ende ging, sich viele der Tanzenden versicherten: „Oiso, i kimm wieder.“

NEWS