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Friedrich von Thun las „Weihnachten bei den Buddenbrooks” in der Wolfratshauser Loisachhalle.

Wie es war, wird nichts bleiben oder: Das Weihnachtsfest als geschützter Raum der Inszenierung

Von Claudia Koestler

Wolfratshausen, 22.12.2014 - Schauspieler leben von der Veränderung. Und so nahm es nicht wunder, auch wenn es überraschte und am Freitag so mancher Zuhörer in der Loisachhalle erst einmal ganz genau hinsehen musste: Friedrich von Thun, der bekannte Schauspieler, war angekündigt, „Weihnachten bei den Buddenbrooks” zu lesen. Doch war er das wirklich? So ganz ohne den früher so markanten Schnurrbart machte sich ein paar Sekunden lang Verwirrung breit, als der Mime die Bühne betreten hatte. Unverkennbar allerdings die Stimme: Sonor und rauh, der Tonfall unaufgeregt, das Tempo stets einem würdevollen Schreiten ähnlich, so begrüßte er am Freitag das Publikum. Mit ihm auf der Bühne: Der südafrikanische Pianist Richard van Schoor, der die Lesung in der Wolfratshauser Loisachhalle musikalisch vielseitig untermalte.

„Die Buddenbrooks – Verfall einer Familie“, dieses Opus Magnum erschien 1901 und brachte dem damals erst 26-jährigen Autor Thomas Mann dafür im Jahre 1929 den Literatur-Nobelpreis ein. Im achten Band seiner „Buddenbrooks” schildert Mann das Weihnachtsfest bei der Lübecker Familie, die aus der Dekadenz einer hanseatischen Kaufmannssippe heraus langsam in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Mann schildert in den Weihnachtskapiteln allerdings die feiertägliche Stimmung im Hause der (noch) wohlhabenden Familie, mit all ihren illustren Gästen, den kulinarischen Genüssen und der opulenten Bescherung, bei der Hanno, der jüngste Buddenbrook, unterm Christbaum das ersehnte Geschenk findet: „Weihnachten ... Durch die Spalten der hohen, weißlackierten, noch fest geschlossenen Flügeltür drang der Tannenduft und erweckte mit seiner süßen Würze die Vorstellung der Wunder dort drinnen im Saale, die man jedes Jahr aufs Neue mit pochenden Pulsen als eine unfassbare, unirdische Pracht erharrte ... Was würde dort drinnen für ihn sein?“, schrieb Mann eingangs.

Der Umfang des Werkes insgesamt allerdings ist sicherlich gerade in heutiger Zeit für viele eine Herausforderung. Vielleicht nahm von Thun deshalb an, dass nicht vorauszusetzen war, dass die Figuren und Zusammenhänge jedem im Publikum bekannt waren, als er in die Lesung einstieg. Deshalb gab er zuvor eine kleine Einführung in die Geschichte: Thomas Buddenbrook übernimmt Mitte des Jahrhunderts die Familiengeschäfte, just als Revolutionen und die Begehren des „einfachen“ Volkes die Strukturen zu verändern beginnen, sich Ehrencodizes im Geschäftsleben verschieben und Werte bröckeln. Thomas hat alle Hände voll damit zu tun, sich der Schwester Antoinie, dem leichtlebigen Bruder Christian, und hinzukommenden Familienmitgliedern zu widmen und die Geschicke im Interesse der Sippe zu lenken, was selten gelingt. Thomas wird zwar Senator und führt die Firma zu großem Erfolg, aber es ist abzusehen, dass seine Ideale und der moralische Anspruch nicht mehr genügt, um den Widrigkeiten zu trotzen. die verinnerlichte Bürglichkeit Buddenbrooks, sein Ehrgefühl und seine Ziele sind mit den Ansprüchen der veränderten Gesellschaft unvereinbar.

Diese Geschichte der Familie erstreckt sich immerhin über 42 Jahre, beginnend 1835. Als die Buddenbrooks 1870 das Weihnachtsfest feiern, ist der Niedergang also bereits fortgeschritten, und es wird auch das letzte Fest für die alte Konsulin Bethsy Buddenbrook werden. Noch einmal aber wird sich die Salontür im ersten Stock zum brennenden Weihnachtsbaum hin öffnen. Noch einmal wird das arme Volk im Lübecker Kaufmannshaus zulangen dürfen. Und noch schreitet das Oberhaupt der Familie selbstzufrieden durch die Räume, während sein missratener Bruder das alles schwer erträgt, die gediegene Langeweile, die Selbstzufriedenheit der Verwandtschaft und sein eigenes Versagen.

Hineinversetzt in eine andere Zeit

Mann beschrieb die Stimmung so detailliert und so bildreich, dass sich das Publikum schnell hineinversetzt fand in die Zeit und die Umstände. Dazu trug allerdings auch die Erzählweise des Vortragenden bei: von Thun wirkte nie rastlos, er ließ sich Zeit, erzählte unaufgeregt, schloss Bögen und nahm das Publikum mit. Figuren und Orte erhielten durch einfache Nuancierungen und präzise, redundanzfreie Betonungen ihr Gesicht und ihre Charakteristika, wirkten authentisch und entwickelten im Kopf der Zuhörer Eindringlichkeit und Tragik; Und man hörte auch sie leise raus, jene spezifische Ironie, die Manns Stil ausmacht, die durchaus ätzend sein kann und Distanzierung bedeutet.

Sehnsucht nach Erinnerung

Somit war die Lesung, auch dank der Klavierbegleitung, eine Demonstration dafür, wie Klang und Sprache eingesetzt werden können, ohne zum Selbstzweck zu werden. Wie sich Handlung und Erzählweise zu einer komfortablen Symbiose verbinden, ohne dass das eine zum Sklaven des anderen wird - eine Kunst. Und jener leicht sentimentale Unterton, etwas fast schon Vergangenem wie einem solchen Weihnachtsfest noch einmal in seiner ganzen Pracht, in seinem höchst eigenen Mikrokosmos beizuwohnen, das griff das Publikum. Auch weil es so leicht war, sich eigene Bräuchen und frühere Zeiten ins Gedächtnis zu rufen - jene stete Sehnsucht nach einer Erinnerung, die vielleicht immer schon Utopie war.
Das Publikum war begeistert und spendete reichlich Applaus.

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