Foto-Ausstellung von Wolfgang Amslgruber in Hohenschäftlarn
Gesichter - Geschichten
Von Bettina Sewald
Icking/Hohenschäftlarn, 21.7.2022 – Manchmal öffnen sich Türen auch im übertragenen Sinn: Als die Türglocke zu seinem Fotostudio Ende Februar klingelte, hatte der Kameramann und Foto-Künstler Wolfgang Amslgruber allerdings noch keine Ahnung, was sich durch diese Begegnung noch alles auftun sollte. Am Wochenende eröffnete er die aus dieser und weiteren Begegnungen entstandene Foto-Ausstellung mit dem vielsagenden Titel „Gesichter – Geschichten“. Er will damit auf die Schicksale der Geflüchteten aus der Ukraine sichtbar machen, die im Isartal angekommen sind. Ab Oktober ist eine Wanderausstellung geplant.
Wolfgang Amslguber erinnert sich: „Im ersten Augenblick war ich irritiert, als die junge Frau zur Tür reinkam und in gebrochenem Englisch fragte, ob ich Passfotos mache.“ Das ist eigentlich gar nicht sein Metier, hat er sich doch ergänzend zu seiner Karriere als Kameramann und TV-Produzent beim Film als Fotograf für Business-Portraits und hochwertige Landschaftsbilder spezialisiert. Aber ihm war innerhalb von wenigen Sekunden klar, dass es sich um eine Geflüchtete aus der Ukraine handeln musste. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar konnte sich den schrecklichen Nachrichten durch Putins Terror schließlich niemand entziehen. Und wer nach Deutschland kommt, das war ihm ebenfalls sofort klar, der braucht ein Passfoto, um sich ordnungsgemäß anmelden zu können. „Als Fotograf hier zu helfen, war für mich selbstverständlich“, bekräftigt er seine spontane Entscheidung. Er hängte kurzerhand ein Schild ins Fenster „Free Passport Photos für Refugees from Ukraine“.
Es kamen über 100 Menschen, die im Isartal in den Gemeinden Icking, Hohenschäftlarn und Baierbrunn angekommen sind. Langsam ebbt der Strom ab. Doch im Frühjahr gab es einen regelrechten Ansturm. Amslgruber: „Es waren zwischenzeitlich so an die 20 Geflüchtete pro Tag, die mich in meinem Studio aufgesucht haben.“ Das erste Passfoto machte der 55-jährige Fotograf von Sascha, einem kleinen Jungen mit kurzen braunen Haaren. „Der Junge hatte einen derart melancholischen Gesichtsausdruck“, erinnert sich der zweifache Vater und erzählt, wie er versucht hat, die Stimmung etwas aufzulockern. Spielerisch habe er versucht, den Jungen miteinzubeziehen, ihn auch mal den Auslöser der Kamera zu drücken, um das Foto von seiner Mutter Elena zu machen (sie war es, die als erste ins Studio kam). Dann war wieder Sascha vor der Kamera. Etwas lockerer. Aber noch immer sehr ernst blickte er ihm durch die Kamera direkt in die Augen. Und es passiert etwas, was für den erfahrenen Fotografen weit über ein normales Passbild hinaus ging. „Dieser kleine Augenblick hat mich so tief berührt“, beschreibt der Wahl-Ickinger diesen Moment, in dem ihm klar wurde, dass er nicht einfach nur Passbilder machen, sondern auch die Geschichten hinter diesen Gesichtern erzählen wollte.
Bilder laden zum Nachdenken ein
Jetzt hängen knapp 50 großformatige Fotos in der Galerie und laden zum Nachdenken ein. Beim Betrachten der einzelnen Bilder, die alle künstlerisch im Schwarzweiß-Look aufbereitet sind, kann einem eine Gänsehaut über den Rücken jagen. In den Augen erahnt man Schicksale, die man vielleicht lieber gar nicht wissen will. Die diese Menschen aber aushalten mussten – und teils noch aushalten müssen. Gesichter von Frauen, die ihre Männer und erwachsenen Söhne verloren haben oder in absoluter Ungewissheit wissen. Von Kindern und alten Menschen, die fragend, resigniert oder einfach nur traurig schauen. Eher selten milde, versöhnlich oder gar hoffnungsvoll. Aber alle haben einen gewissen Stolz, betont der gebürtige Münchner der mit seiner Familie seit vielen Jahren in Irschenhausen lebt: „Das sind alles wirklich starke Persönlichkeiten.“ Ohne ihre ausdrückliche Zustimmung zur Ausstellung-Idee hätte er das Projekt gar nicht vorangetrieben. Aber alle waren sehr angetan davon. Jedes einzelne Bild erzählt eine Geschichte, die nicht in Vergessenheit geraten soll. Amslgruber: „Das ist mein Beitrag zu dieser schrecklichen Situation.“ Zustimmung hat er auch im Ickinger Rathaus erfahren.
Zweite Bürgermeisterin Claudia Roederstein habe sein Engagement sofort dankbar aufgegriffen und auf der Homepage der Gemeinde einen Hinweis in ukrainischer Sprache vermerkt. „Die Zusammenarbeit der Gemeinden ist wirklich beispielhaft“, lobt der Foto-Künstler. Am Freitag, 15. Juli, um 18 Uhr, wird die Ausstellung offiziell eröffnet. Sie dauert bis zum 15. September und ist jeweils von Montag bis Freitag von 10 bis 18.30 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet. Telefon: 0175 4303647. Anschießend ist sie als Wanderausstellung geplant und wird ab 4. Oktober in der Rathaus Galerie in Icking und danach voraussichtlich in Hohenschäftlarn und Baierbrunn zu sehen sein. Weitere Ausstellungsorte sind angedacht. Amslgruber schmunzelt: „Wer weiß, wo die Reise noch hingeht…“ Er hat sich mit dieser Aktion bereits jetzt viele, viele Freunde gemacht. Unter anderem den kleinen Sascha, der inzwischen nahezu täglich am Studio in Hohenschäftlarn in der Münchner Straße 35 vorbeiradelt und fröhlich durch die Scheibe winkt.
Fotos: Bettina Sewald
