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„Sing, meine Seele, sing" – Tölzer Leonhardifahrt als Bekenntnis zu Demokratie und Dankbarkeit

Bei Kaiserwetter auf den Kalvarienberg

Bad Tölz, 8.11.2025, red. - Bei Kaiserwetter zogen 71 Gespanne zur 170. Wallfahrt auf den Kalvarienberg – Pfarrer Demmelmair mahnt zur Wertschätzung von Frieden und Demokratie.

„Sing, meine Seele, sing" – diese Worte aus dem Psalm 146 durchzogen am Donnerstag wie ein goldener Faden nicht nur die Predigt von Stadtpfarrer Peter Demmelmair auf dem Tölzer Kalvarienberg. Sie beschreiben zugleich die Stimmung und die Gefühle bei der mehr als gelungenen 170. Tölzer Leonhardifahrt, die bei strahlendem Sonnenschein stattfinden konnte und über 10 000 Besucherinnen und Besucher aus Nah und Fern anlockte  – darunter darunter auch prominente Gäste wie Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Schauspielerin Maria Furtwängler.

71 prächtig geschmückte Vierergespanne zogen mit etwa 300 Pferden durch die Kurstadt Bad Tölz. Ein jahrhundertealtes Spektakel, das die Teilnehmenden vom Kurviertel über die Isarbrücke in die Fußgängerzone und schließlich hinauf auf den Kalvarienberg führt. Dort umrunden die Gespanne die Leonhardikapelle, um den Segen für Mensch und Tier zu empfangen – der emotionale Höhepunkt einer Wallfahrt, die weit mehr ist als folkloristische Tradition.

Kulturerbe mit Geschichte: Die Tölzer Leonhardifahrt seit 1772

Die Tölzer Leonhardifahrt, die seit 1772 dokumentiert ist und in ihrer heutigen Form seit 1856 stattfindet, zählt zu den wenigen echten Wallfahrten, die sich nicht touristischen Aspekten gebeugt haben. Gerade durch ihre Authentizität weckt sie überregionales wie internationales Interesse.

2016 wurde sie sowohl als immaterielles Kulturerbe Bayerns anerkannt als auch durch die Deutsche UNESCO-Kommission in das bundesweite Verzeichnis aufgenommen. Das Expertenkomitee würdigte dabei ausdrücklich „die Maßnahmen zur Wahrung des lokalen Rahmens, um das Fest nicht zu einer reinen Tourismusveranstaltung werden zu lassen".

Tradition mit Herz und Handwerkskunst

Diese Ursprünglichkeit zeigt sich in vielen Details: Nur vierspännige Wagen sind zugelassen, gezogen ausschließlich von Kaltblutpferden, und großen Wert legt man auf eisenbeschlagene Holzräder – Gummireifen sind verpönt .

Die Wallfahrt zu Ehren des heiligen Leonhard, des Schutzpatrons der Pferde und des Viehs, verbindet seit Jahrhunderten bäuerliche Frömmigkeit mit festlichem Brauchtum und ist für die Menschen in Bad Tölz und dem Isarwinkel identitätsstiftend.

„Hochamt bayerischer Kultur" – Gemeinschaft und gelebter Glaube

„Nirgends ballt sich Kultur in unserer Stadt und auch selten in Bayern so, wie an Leonhardi", sagte Bürgermeister Ingo Mehner beim städtischen Empfang und bezeichnete die Pferdewallfahrt als „Hochamt bayerischer Kultur".

Für die Teilnehmer ist „Lehards", wie die Wallfahrt im Volksmund heißt, weit mehr als ein religiöses Ereignis – es ist eine Art große Familienfeier, bei der alle zusammenkommen, beten, essen und trinken.

Appell von Pfarrer Demmelmair: Dankbarkeit und Demokratie bewahren

In diesem Jahr nutzte der katholische Stadtpfarrer Peter Demmelmair die Gelegenheit, den vielen Besucherinnen und Besuchern genauso wie den Teilnehmenden der Wallfahrt ins Gedächtnis zu rufen, wertzuschätzen, was wir haben.

„Wir gehören zu den glücklichen sechs Prozent der Menschheit, die nur den Hahn aufdrehen müssen, und es sprudelt Trinkwasser", sagte Demmelmair. Wir haben gute Kleidung, zu essen, ein Dach über dem Kopf, wir erleben solche Momente wie heute mit der Traditionswallfahrt bei Sonnenschein und wir leben in Frieden seit 80 Jahren, führte der Pfarrer in seiner bewegenden Ansprache weiter aus. Das sei nicht einfach so passiert, sondern der Demokratie geschuldet, die uns andere Länder, insbesondere die USA, nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gebracht haben.

Sich dieses Glück immer wieder bewusst zu machen, sei unabdingbar, um es zu erhalten. Und er warnte davor, in typisch deutschem Gemaule oder gar typisch bayerischem Gegrantel jene Werte aus den Augen zu verlieren, die uns eben jene Freiheit, den Frieden und den Wohlstand seit Jahrzehnten sichern.

Eine klare Mahnung, sich nicht anti-demokratischen Parteien oder Strömungen hinzugeben oder ihnen gar anheimzufallen. Hierfür erntete er nicht nur zustimmendes Raunen, sondern sogar Applaus auf dem Kalvarienberg.

Festlicher Ausklang in der Marktstraße von Bad Tölz

Am Nachmittag ging es dann in der Marktstraße leger zu, wo die Burschen ihre „Goaßln" auspackten und lautstark im Takt erklingen ließen, während Besucherinnen und Besucher und Teilnehmende der Wallfahrt fröhlich feierten - und ihre Seele singen ließen. 

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