Kunstschmied Tom Carstens im Porträt
Vizeweltmeister im Team
Von Benjamin Engel
Münsing, 23.9.2019 - Am Anfang steht für Tom Carstens das Wort. Erst im Gespräch, so erzählt er, erfahre er, was seine Kunden wirklich wollten. Und das passt auch zu seinem Handwerk, in dem kein Stück dem anderen gleicht. Denn der 46-jährige Degerndorfer entwirft individuelle Maßanfertigungen – vom Bad mit Edelstahlelementen bis zu Skulpturen. Dafür greift der Metallgestalter auf Hi-Tech-Technik wie moderne Schweiß- und Schleifgeräte zurück, mit denen sich komplizierte Muster genauso herstellen wie Buntmetalle bearbeiten lassen.
Ebenso feuert der muskulöse Mann mit dem gepflegten Bart die Esse in der Ecke seiner Werkstatt an. Auf 3000 Grad Celsius erhitzt er die Holzkohle im Ofen, um das Eisen auf Bearbeitungstemperatur zu bringen. Nimmt er das goldgelb glühende Stück aus der Glut, hat es immer noch um die 1200 Grad, wenn er es mit dem Hammer in Form schlägt. „Es ist wichtig, das Feuer zu bewahren, aber keine kalte Asche“, beschreibt Carstens sein Berufsverständnis.
Alt und neu stehen in seiner Werkstatt in Degerndorf ganz nah beieinander. Carstens verwendet den ursprünglich mit Wasserkraft betriebenen Federhammer „Lasco 1“ um 1890 mit dem Deutschen Reichs-Gebrauchs-Muster-Schutz genauso wie das moderne Wolfram-Inert-Gas-Schweißgerät. Worum es dem Metallgestalter geht, beschreibt er ganz einfach. „Ich erfülle Sehnsüchte und die hat jeder Mensch“, schildert er. Je besser er seinen Kunden zuhöre, desto besser gelinge ihm auch, ihnen das Passende zu gestalten.
Untereinander zu kommunizieren, war für Carstens auch bei den heurigen Weltmeisterschaften der Schmiede im toskanischen Stia entscheidend. Gemeinsam mit Alfred und Eric Bullermann aus Niedersachsen, Hans und Leon Lippert aus Straßlach sowie Florian Upmann gewann er den zweiten Platz im Team-Wettbewerb. Zwei Wochen vor der Veranstaltung erfuhr das Sextett, das Thema der Konkurrenz: Leonardo da Vinci. „Uns war sofort klar, dass Du das Universalgenie nicht mit einer Plastik darstellen kannst“, beschreibt Carstens den Ausgangsgedanken. Per Whatsapp-Gruppe tauschten sie sich aus und beschlossen, das Skizzenbuch da Vincis anzufertigen – mit einer Feder und dem Schriftzug „Progetti non realizzati“ (Die unverwirklichten Werke). Der Clou daran: Klappt jemand das um die acht Kilogramm schwere stilisierte Buch im DIN A 4 Format auf, sieht er in einen eingearbeiteten Spiegel. Darin war der Himmel zu sehen. Darüber stehen die Worte: Der Traum vom Fliegen. „Damit hatte keiner gerechnet“, sagt Carstens.
Schmieden mit Hammer, Feilen und Zangen
Um zu schmieden, waren in Stia nur Hämmer, Feilen und Zangen als Hilfsmittel erlaubt. Drei Stunden hat jedes Team ihre Idee fertigzustellen. An den Wettbewerben nahmen um die 400 Leute teil. Teams und Einzelkämpfer aus der ganzen Welt waren dort. Die Neugier, sich mit den anderen auszutauschen und zu reden, hat Carstens schon vor 20 Jahren in die Toskana gebracht. Damals beteiligte er sich erstmals an den Schmiedemeisterschaften. 2007 wurde er bereits im Team Dritter, 2009 ebenfalls Vize-Weltmeister gemeinsam mit dem inzwischen gestorbenen Freund Walter Still. Zu Ehren des Fachgruppenleiters der Metallgestaltung in Bayern stellte Carstens sein Team für die Weltmeisterschaften in Stia zusammen. „Es ist spannend, wie das Metall, dass starr und hart ist, Dynamik bekommen hat“, sagt er.
Echte Schmiedekunst baut auf den Grundlagen des Handwerks auf. Das ist für Carstens entscheidend. Erst wer die Historie verstanden habe, könne das Wissen für die Neuzeit nutzen. Bis filigrane Arbeiten wie ein geschwungenes Treppengeländer aber überhaupt möglich sind, braucht es viel Erfahrung und die Bereitschaft Neues zu lernen. „Am Anfang wird man vom Material geprägt“, sagt er. Erst später gelinge es, den Prozess umzukehren.
Der Lebensmittelpunkt ist heute die kleine Werkstatt im Bio-Bauernhof von Ludwig Derleder bei Degerndorf. Mit seiner Frau Franziska liebt es Carstens, am Starnberger See und in den Bergen unterwegs zu sein. Für ihn ist das der „Inbegriff von Heimat“. Schon früh hatte die Neugier den Metallgestalter in die Welt getrieben. Als Kind faszinierte ihn die Schmiede aus den Geschichten des Michel aus Lönneberga. Carstens fing an, etwa aus Kupfer Stücke zu konstruieren und machte eine Ausbildung zum Metallgestalter in Königsdorf und zum Hufschmied. Mit 21 Jahren zählte er zu den jüngsten Lehrschmiedemeistern des Freistaats Bayern.
Auf Wanderschaft
Auf Wanderschaft zog es Carstens mit Mitte 20. Er zog fünfeinhalb Jahre durch Europa. Er suchte sich Schmiedemeister und Künstler, für die er arbeiten wollte, lebte in Norwegen, Tschechien, Frankreich, Italien, der Schweiz oder Österreich. Sogar bis nach Florida verschlug es ihn. Besonders prägte Carstens der Schmiedepapst Alfred Habermann, bei dem er zweieinhalb Jahre lernte.
In der Vitrine am Eingang liegen auch Messer aus Dasmaszenerstahl. Besucher können Exemplare für sich selbst anfertigen. Dafür organisiert Carstens mit seiner Frau Franziska Kurse. Gemeinsam gestalten sie Seminare für Unternehmen zur Mitarbeiterführung oder arbeiten mit Kindern. Um mehr Platz etwa auch für Ausstellungen zu haben, richtet das Paar derzeit noch einen zusätzlichen Raum ein.
Für viele ist der Schmied, der mit dem Hammer das auf einem Amboss rotglühende Eisen bearbeitet, ein romantisches Traumbild. Doch wie Carstens sagt, verlange einem der Beruf weit mehr ab. Heutzutage würden viele junge Leute mit falschen Erwartungen ihre Lehre wieder abbrechen. Am meisten würde sich der Metallgestalter jedoch wünschen, dass Eltern ihre Kinder nicht vom Handwerk abhalten und nur Richtung Studium drängen. Denn der ein oder andere wäre in einer Werkstatt sicher glücklicher, sagt er. Carstens selbst ist dankbar, dass er in seinem Beruf so viele Menschen kennenlernen durfte – besonders auch in seinen Wanderjahren. „Man lernt, mit Urvertrauen an die Sache heranzugehen“, sagt er. „Wer lauter Angst hat, kann nicht funktionieren.“
Homepage Tom Carstens: www.schmied-tom-carstens.de
Fotos: Benjamin Engel


