Corona-Pandemie: Künstler in der Krise
Wann kehrt die Normalität zurück?
Von Andrea Weber
Oberland, 26.5.2020 - Was tun Maler, wenn sie keine Ausstellung machen können? Von was leben Musiker, wenn sie nicht auftreten dürfen? Wo suchen Fotografen ihr Motiv, wenn man sie nicht reisen lässt? Das Schlimmste aber ist die Ungewissheit. Wann kehrt die Normalität zurück? Und wie wird die Zukunft nach der Pandemie aussehen?
Im Januar, kurz bevor die Corona-Pandemie die Welt zum Stillstand brachte, war Michael von Hassel gerade im kolumbianischen Dschungel unterwegs und traf auf bewaffnete Guerilla-Kämpfer. Er ließ sich mit ihnen ablichten, als seien sie alte Freunde. Der gebürtige Geretsrieder ist gegenwärtig einer der bedeutendsten Fotografen Deutschlands. Seine spektakulären, überdimensionalen Natur- und Architekturfotografien werden international gehandelt. Von Hassel ist ein Globetrotter, den es in entlegenste, nicht selten als gefährlich eingestufte Regionen zieht, in die kein Tourist freiwillig geht. Er war unter anderem in Nordkorea, in Kamtschatka und Transnistrien – bis zu 260 Tage im Jahr jettete er um die Welt. Dann kam Corona.
„Wir können nur daraus lernen.“ Michael von Hassel
Wäre die Pandemie nicht gekommen, wäre er jetzt auf einer Cross-Country-Tour durch USA. Nun aber sitzt Michael von Hassel auf seinem neuen E-Bike und entdeckt erstmals die heimische Region im bayerischen Voralpenland. „Ich muss mich schämen, dass ich hier so vieles noch nicht kenne.“ Von Hassel hat sich ein finanzielles Polster geschaffen, um die eingebrochene Auftragslage und die bereits geplanten Ausstellungen in Berlin, Budapest und auf Sylt zu überbrücken. Er nimmt das Positive aus der Krise an: „Es ist sinnvoll für mich, mal den Stecker gezogen zu bekommen.“ Und er sieht eine Chance: „Unterm Strich können wir daraus viel lernen und nach der Krise eine wertvolle Zukunft schaffen.“
„Es ist nicht auszumalen, wie die Gesellschaft wird, wenn es keine Kultur mehr gibt.“ Gitarrist Peter Schneider
Nach sieben Wochen Kontaktsperre trat Peter Schneiders Band „The Stimulators“ kürzlich wieder auf. Natürlich ohne Publikum, dafür wurde das Konzert per Live-Stream aus der oberbayerischen Kulturbühne Hinterhalt in die Wohnzimmer der Zuschauer übertragen – überraschenderweise kamen Grußkommentare bis aus Sydney und Ecuador zurück. Die digitalen Medien machen es möglich. Der gebürtige Münchner ist ein begnadeter Gitarrist, der in Südamerika studierte und als junger Musiker mit Ike Turner auf der Bühne stand. Schneider lebt für und von der Musik. Er zehrt von der Begeisterung und der Nähe zu seinem Publikum. Corona hat ihm das alles genommen. Normalerweise wäre er bald mit der Band auf Tournee durch Tschechien, Slowakei, Österreich und Deutschland. 17 Auftrittstermine waren fest gebucht. „Dann kamen die Absagen, eine nach der anderen“, sagt Schneider, und damit auch der Verlust von Gageneinnahmen. Das Schlimmste sei die Ungewissheit, sagt einer, der von der Musik lebt. „Wir wissen nicht wie und wann es weitergeht.“ Er habe die Soforthilfe für Soloselbstständige vom Staat bekommen, aber viele seiner Kollegen nicht, weiß Schneider. Er warnt: Wenn eine zweite Ansteckungswelle käme, dann werde es für die Künstler und die Kulturstätten bitter aussehen. „Es ist nicht auszumalen, wie die Gesellschaft wird, wenn es das nicht mehr gibt.“
„Die digitale Ausstellungsform wird auch nach der Krise ein neues Standbein bleiben.“ Sandra Kolondam
Sandra Kolondam öffnet täglich die Internetseite des Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, um die angekündigte Finanzhilfe für freischaffende Künstler von 1000 Euro monatlich nicht zu verpassen. Sandra Kolondam hat Marketing studiert und viele Jahre in Festanstellung ein regelmäßiges Einkommen bezogen. Inzwischen hat sie gelernt als freischaffende Künstlerin mit unregelmäßigen Einkünften zu wirtschaften. Die Münchnerin, die heute in Höhenrain lebt und arbeitet, stellt bundesweit aus. In ihren großformatigen und bonbonfarbigen Bildern setzt sie sich kritisch mit der Natur und dem technologischen Fortschritt auseinander – und zeigt darin auf, dass die Realität nicht zuckersüß ist. Doch die Krise birgt neue Chancen. Sandra Kolondam hat nach neuen Wegen gesucht, bietet nun ihre Arbeiten über eine virtuelle Galerie an und bekommt überraschend gute Resonanz. Sie plant mit anderen Künstlern ein Kollektiv zu gründen, um gemeinsam neue, virtuelle Vermarktungsmöglichkeiten zu organisieren. Im Internet gebe es keine Grenzen, das sei auch eine reelle Chance als bayerische Künstlerin international wahrgenommen zu werden. „Die digitale Ausstellungsform wird auch nach der Krise ein neues Standbein für mich bleiben.“
Online-Antrag zur Hilfe für freischaffende Künstler und Künstlerinnen.
Fotos: Sandra Kolondam, Michael von Hassel, Andrea Weber

