Das Magazin für das Bayerische Oberland

Wolfratshauser Tanzzentrum Müller im Porträt

Formationsspaß mit Doppelspitze

Von Gregor Miklik

Wolfratshausen, 06.03.2023 - Das Interesse am Tanzen ist groß, Sendungen wie "Let's Dance" locken regelmäßig Millionen von Zuschauern vor den Fernseher. Wer sich lieber selbst bewegt, kann im Tanzzentrum Müller seit Jahrzehnten Walzer, Jive, Tango und Co lernen – seit 1980 in Wolfratshausen, inzwischen auch in Penzberg und Seeshaupt. Neben dem Gründer, Trainer und Juror Alexander Müller, der mit Standard- und Lateintänzen erfolgreich war, führen heute zwei Frauen das Haus – und setzen neue Schwerpunkte: Kindertanzen macht inzwischen den größten Anteil aus, dicht gefolgt von Hip-Hop.

Im großen Saal des Tanzzentrums Müller wird gerade geübt. Vom leicht erhöhten Gastrobereich aus beobachtet Alexander Müller, Jahrgang 1953, wie seine Tochter Marie-Thérèse eine Formation für die Süddeutsche Hip-Hop-Meisterschaft vorbereitet. Die Tochter führt mit klaren Gesten und kurzen Kommandos, sorgt aber auch für den einen oder anderen Lacher zwischendurch. Die Jugendlichen schwitzen und strahlen, der Boden bebt. Der Senior ist froh, dass er nach mehr als vierzig aktiven Jahren an kompetente Nachfolgerinnen übergeben kann.

„Bei meinem ersten Tanzkurs 1971 wollte ich vor allem Mädchen kennenlernen.“

Ein „schillernder und umtriebiger Paradiesvogel“ sei er schon früh gewesen, sagt Müller. Das habe ihm bei seiner Karriere sicher geholfen, die ihn zu nationalen und internationalen Erfolgen als Tänzer, Trainer und Juror führte. In den 1980-er-Jahren war Müller gar regelmäßig im deutschen Werbefernsehen (McDonald´s, Schoko-Crossies, Duplo, Bifi) und als Tänzer in Musikvideos der Gruppe „Alphaville“ zu sehen. Allen späteren Erfolgen zum Trotz kam Müller nicht schon als Kind zum Tanzen, sondern als fast schon Erwachsener aus einem nahezu klassischen Grund: „Bei meinem ersten Tanzkurs 1971 wollte ich vor allem Mädchen kennenlernen.“ Nach seinem Schulabschluss 1972 verpflichtete er sich für vier Jahre bei der Bundeswehr – und war damit offenbar nicht immer ganz ausgelastet: Ungefähr nach zwei Dienstjahren vertrat er die Lehrerin in einem Tanzsportclub so gut, dass er dort im dritten und vierten Dienstjahr zusätzlich als Trainer arbeitete.

Die Ausbildung zum Tänzer absolvierte er schließlich in der renommierten Augsburger Schule Trautz & Salmen, die Kosten hierfür übernahm die Berufsförderung der Bundeswehr - und dann ging es Schlag auf Schlag: 1978 war er einer der jüngsten Ausbilder in Deutschland, dann wurde er für die Tanzschule Trautz „Filialleiter“ in Fürstenfeldbruck und Wolfratshausen. 1979 machte er sich selbständig, zwischen 1979 bis 1985 errang er zwei Siege beim Deutschland-Pokal und einen beim Europapokal und besaß gemeinsam mit seiner Tanz- und Geschäftspartnerin Roswitha Kucirek in München Tanzschulen erst in der Maxvorstadt, dann im Tal. Doch 1985 sollte sich vieles ändern: Er lernte seine spätere Ehefrau Steffi kennen, trennte sich von seiner bisherigen Geschäftspartnerin und verlegte seinen Schwerpunkt wieder nach Wolfratshausen.

Kindertanz – Pionierprojekt in Deutschland

Mit Hilfe seiner Schwiegereltern baute er 1995 das Tanzschulgebäude an der Geltinger Straße, um für sein expandierendes Kurs-System in Standard- und Lateintanz keine Räume mehr anmieten zu müssen. In den 1990-er Jahren kam allerdings auch die Techno-Musik auf – und kein Jugendlicher wollte mehr Standard-Tanz lernen. Müller war zwar als Trainer international gut im Geschäft, aber die Tanzschule brauchte eine neue Geschäftsidee. Die hatte Ehefrau Steffi, ebenfalls ausgebildete Tanzlehrerin: Sie rief den „Kindertanz“ ins Leben und war damit „Pionierin in Deutschland“, wie Müller sagt. Heute machen die Standart-Tanzkurse nur noch ein Viertel des Geschäfts aus; Hip-Hop belegt etwa 35 Prozent und der damals neu entwickelte Kindertanz etwa 40 Prozent. Neben den Kindergruppen betreute Ehefrau Steffi in den 2000er-Jahren drei Jugendformationen, die Süddeutsche- und Deutsche Meistertitel in verschiedenen Altersklassen gewannen - hier war auch die Tochter Marie-Thérèse höchst aktiv dabei, sie war dreimal deutsche Meisterin im Solo HipHop.

Heute ist die Tochter 28 Jahre alt, und steht vor der verspiegelten Studiowand und leitet die HipHop-Formation an, es herrscht eine lockere Atmosphäre. „Mei, ich hab´s ja nie anders erlebt“, sagt Marie-Thérèse, Branchenname „Mausi“. „Mama oder Papa haben uns morgens zum Schulbus gebracht und mittags abgeholt, nachmittags hat die Mama dann Unterricht gegeben und ich habe zugeschaut“, erinnert sie sich. Der Vater sei regelmäßig als Trainer oder Juror unterwegs gewesen, „aber alleine waren wir drei Kinder nie, unsere Großeltern lebten ja mit im Haus, mit denen sind wir Kinder auch regelmäßig im Wohnmobil in den Urlaub gefahren“, sodass die Eltern parallel arbeiten konnten. „Oft kamen Profi-Paare auch zu uns ins Studio“, ergänzt Alexander, „da hat die Mausi halt dann zugeschaut, bei Leuten, die anschließend auf Weltmeisterschaften tanzten.“ Als sie einst als Elfjährige in der Schule einen Berufswunsch nennen sollte, war die Antwort: Tanzlehrerin. „Das war irgendwie immer klar für mich“, sagt sie heute. Nach der Schule machte sie zunächst eine Ausbildung zur Groß- & Außenhandelskaufrau, mit 19 Jahren begann sie in der Augsburger Tanzschule, in der schon der Vater gelernt hatte und wäre übernommen worden. „Aber zum Ende der Ausbildung im Herbst 2016 war klar, dass der Papa mich zu Hause braucht“, erinnert sich Marie-Thérèse.

Also zog die Tochter zurück nach Wolfratshausen und brachte die ein Jahr jüngere Augsburger Kollegin Selina Schupp gleich mit. Was zunächst eine private Beziehung war – Schupp arbeitete anfangs selbständig für andere Tanzschulen – wurde rasch auch eine berufliche Liaison, in der sich die beiden jungen Frauen offenbar gut ergänzen: „Marie-Thérèse sorgt für die Stimmung und den Drive, Selina ist eher ruhig und hat einen Plan; das ergänzt sich gut – auch im Unterricht“ – so beschreibt die 15-jährige Hip-Hop-Tänzerin Nadja Weigelt ihre beiden Lehrerinnen. Selina bestätigt diesen Eindruck: „Marie-Thérèse ist die Frontfrau, ich organisiere im Hintergrund – diese Arbeitsteilung passt für uns beide, das kultivieren wir auch.“

Die inzwischen verheiratete Selina Müller-Schupp hat ihren Einstieg ins Familienunternehmen positiv erlebt: Der Firmengründer sei sehr dankbar gewesen, als sie mit einstieg, „und er hat uns beide von Anfang an total freie Hand gelassen, obwohl er ja bis heute finanziell verantwortlich ist.“

Gemeinsam begannen die zwei Frauen, die Tanzschule konzeptionell zu verändern: Das betraf die Gestaltung der Räume, die Struktur des Kursprogramms, die Website, das Logo und das Marketing über die sozialen Medien. Inzwischen gibt es sogar eine Bekleidungslinie. Der Vater ließ sich überzeugen. „Er hat schon auch schnell gesehen, dass das funktioniert, was wir da aufgesetzt haben“, erläutert Müller-Schupp nicht ohne Stolz, aber: das Ganze hat auch seinen Preis: „Wir müssen uns immer wieder selbst disziplinieren, dass wenigstens ein Tag pro Woche frei bleibt“:

„Wir haben schon Federn gelassen, aber es hätte schlechter laufen können.“

Eine besondere Herausforderung für die Tanzschule war die Corona-Pandemie. Dank digitaler Innovation und der Treue der Tanzschul-Kundschaft wurde sie gemeistert: Die Tänzerinnen und Tänzer räumten zu Hause ganze Wohnzimmer frei, die Tanzschule setzte kurzfristig ein breites Online-Kursprogramm auf, das dann per Video-Conferencing stattfand – parallel dazu wurden Übungs-Videos produziert und ins Netz gestellt. „Ganz wichtig war, dass alle den Kontakt zueinander behielten“, stellt der Seniorchef klar: „Jetzt im Rückblick kann man sagen: Wir haben schon Federn gelassen, aber es hätte schlechter laufen können.“

„Von alleine hat unser Geschäft nie funktioniert“, sagt die Tochter, die für den „Außendienst“ zuständig ist: Sie betreut die Schulen, die wegen Projekten anfragen. Insbesondere bei Kindern nehme die Nachfrage zu – „am wichtigsten für uns ist die Mund- Propaganda“, weiß Marie-Thérèse. Inzwischen gibt es von den Mini-Kids bis Ü30 sechs Formationen, die die Frauen fordern und fördern: „Nach der ersten Meisterschaft sind die Kinder ganz anders angefixt als davor“, erläutert Müller-Schupp, die Beziehungen in der Gruppe würden sofort deutlich stärker. Das lohne sich sehr, aber der Vorbereitungsaufwand für die Formationen sei um ein Vielfaches höher als der für Standard-Tanzstunden. Seit einem Jahr ist der Tanzlehrer-Azubi Fynn Mattes dabei, damit verteilt sich die Arbeit inzwischen auf fünf Tanzlehrerinnen und -lehrer.

„Die Leute wollen nicht perfekt tanzen, sie wollen in ihrer Freizeit Spaß haben“, unterstreicht Marie-Thérèse Müller. Und ihre Ehefrau ergänzt: „Solange unsere Tänzerinnen und Tänzer hier Spaß haben, mache ich mir keine Sorgen.“

Fotos: Gregor Miklik


NEWS