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Erinnerungsort Badehaus

Erinnerungsort Badehaus

Hommage an die ersten Gastarbeiter

Von Peter Herrmann

Wolfratshausen-Waldram, 25.10.2023 – Von den 1950er-Jahren bis Anfang der 1970er-Jahre warb die damalige Bundesrepublik Deutschland verstärkt Gastarbeiter aus Ländern wie Italien, Türkei, Portugal und Griechenland an. Ihre Schicksale standen im Mittelpunkt eines Film- und Diskussionsabends im Erinnerungsort Badehaus.

Integration trotz Ressentiments

In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Geretsried lud der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald zum Begegnungsabend „Herzlich willkommen! Als die Gastarbeiter kamen“ ein. Nach einem Auftritt der griechischen Tanzgruppe aus Geretsried präsentierte Badehaus-Vorsitzende Dr. Sybille Krafft ihre bereits 1994 entstandene Filmcollage „Die ersten Gastarbeiter in Bayern“. Die Vielschichtigkeit von gelungener Integration einerseits und menschenunwürdigen Gemeinschaftsunterkünften sowie Ressentiments der einheimischen Bevölkerung waren danach Themen einer Gesprächsrunde.

„Die sich häufenden antisemitischen Vorfälle in Europa erschüttern uns“, schickte Krafft voraus. Umso wichtiger sei das Begegnungszentrum und Museum im Badehaus, das in seiner Dauerausstellung verschiedene Migrationen dokumentiert. „Das ist ein Ort der Aufklärung, Demokratie und Völkerverständigung“, betonte die Badehaus-Chefin. Die griechische Tanzgruppe ehrte sie kollektiv als 15.000 Besucherin des 2018 eröffneten Erinnerungsortes. Die Geretsrieder Kulturamtsleiterin Anita Zwicknagl, die die Diskussionsrunde zusammen mit Sybille Krafft moderierte, begrüßte die Gäste in drei verschiedenen Sprachen und ließ zunächst Evangelos Karassakalidis zu Wort kommen. Geboren in der Kleinstadt Xanthi, kam er bereits 1971 als Kind nach Geretsried, wurde dort Vorsitzender der Griechischen Gemeinde und schaffte 1996 sogar den Sprung in den Stadtrat. „Mein Bruder und ich wuchsen zuerst bei den Großeltern in Griechenland auf“, erzählte er.

Die Eltern verdienten zu diesem Zeitpunkt schon in Deutschland ihr Geld und holten die Kinder erst später nach. Das war damals nichts Ungewöhnliches. Denn viele Arbeitsverträge, die deutsche Unternehmer mit Gastarbeitern abschlossen, waren befristet. So kam es nach der Anwerbung in den 1960er-Jahren schon ab 1973 wieder zu einer Rückreisewelle. Nicht so bei Familie Karassakalidis: „In Geretsried gab es viele Firmen wie beispielsweise Empe, Speck oder den Spielwarenhersteller Lorenz, die gerne Gastarbeiter einstellten“, berichtete Evangelos. Manche Unternehmen errichteten in ehemaligen Bunkern sogar preisgünstige Wohnungen für die stetig wachsende Zahl von Zuwanderern. Der Deutschunterricht erfolgte in der „Griechischen Schule“. Über gelungene Integration berichtete auch die ehemalige Münchnerin Bauunternehmerin Elisabeth Renner. „Manche arbeiten schon seit 40 Jahren in der Firma und sind sehr zufrieden“, erzählte sie. Für den ersten portugiesischen Ankömmling wurde das Dachgeschoss der Firmenzentrale ausgebaut, bald zogen viele Gastarbeiter nach. Renners Erfolgsgeheimnis: „Ehrlichkeit und Wertschätzung durch den Arbeitgeber!“, verriet sie.

Kampf um Anerkennung

Nicht ganz so glücklich verlief die Kindheit von Assunta Tammelleo, die als Tochter eines italienischen Straßenarbeiters mit ihrer Schwester am Stadtrand von Stuttgart aufwuchs. „Mein Vater blieb Hilfsarbeiter, litt unter geringer Wertschätzung und starb schon im Alter von 56 Jahren“, erinnerte sie sich. Ihre Mutter musste mit Ressentiments in der Nachbarschaft leben. „Viele konnten nicht nachvollziehen, warum sie sich ausgerechnet mit einem dunkelhäutigen Italiener eingelassen hat“, erklärte Assunta Tammelleo. Die heutige Wirtin der Kulturbühne Hinterhalt in Gelting, die in München Politologie studierte, hatte auch später noch aufgrund ihres Namens mit Vorurteilen zu kämpfen. Die Leistung der Gastarbeiter würdigte Badehaus-Vorstandsmitglied Elisabeth Voigt: „Sie haben einen essenziellen Anteil am deutschen Wohlstand“, betonte sie. Dazu gehört fraglos auch die Kulinarik. Abschließend wurde der Gaumen der Gäste mit italienischen, griechischen und türkischen Spezialtäten verwöhnt.

Fotos: Peter Herrmann


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