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Seenschifffahrt im Oberland

Gute Laune im Auge des Sturmes

Bei gutem Wetter kann´s ja jeder. Die Seenschifffahrt in der Region bedient ihre Linien bei fast jedem Wetter und bei jedem Ansturm – egal ob mit sechs großen Ausflugsschiffen oder einem einzigen Motorboot.

Reportage von Gregor Miklik

Oberland, 16.11.2022 - Nach zwei Sommern mit Corona-Einschränkungen waren die Passagierschiffe auf den bayerischen Seen in diesem Sommer bestens ausgelastet – entsprechend strapaziös waren die Arbeitszeiten für die Schiffsbesatzungen – zumal in der Ferienzeit; ein Praxistest in der Hochsaison teigte allerdings, dass die Stimmung beim Personal der Schifffahrtsbetriebe bestens ist - und zwar nicht nur bei „Kaiserwetter“, sondern auch im Auge des Sturms. Eine Bestandsaufnahme zum Saisonende.

Auf dem Starnberger See sind aktuell bis zu sechs Schiffe unterwegs und befördern in Nicht-Corona-Jahren pro Saison rund 240 000 Passagiere. Es geht aber auch eine Nummer kleiner: Auf dem Kochelsee gibt es nur ein einziges Motorschiff, die Fischerfamilie Kneidl maximal 100 Ausflügler gleichzeitig an Bord. Auf beiden Gewässern hat die Schifffahrt neben dem Fischfang eine lange Tradition und teilweise illustre Geschichte: Auf dem Kochelsee ruderten Knechte im 17. und 18. Jahrhundert überwiegend Waren über den See, da es damals noch keine Straße von Kochel nach Schlehdorf durch das Moor gab. Fahrten auf dem Starnberger See wiederum waren ursprünglich ein Privileg des Adels, der die Muße und das nötige Geld dafür hatte. Heute sind es Ausflügler und Touristen aus der Region, ganz Deutschland und der Welt, die auf den Schiffen ein paar entspannte Stunden verbringen und die einzigartige Landschaft an sich vorbeiziehen lassen.

 

Die Schifffahrt in Bayern begann 1851

Über die Poststraße war der Starnberger See bereits im 16. Jahrhundert an München angebunden, Schlösser und Landgüter gab es auch einige: Bereits 1550 ließ sich Herzog Albrecht der Fünfte von Bayern eine Fregatte bauen und auch in der Folgezeit haben Fürsten etliches Geld dafür ausgegeben, um sich zum erbaulichen Zeitvertreib über den See fahren zu lassen. Die Schifffahrt für Normalbürger begann 1851, als der Königliche Baurat Ulrich Himbsel einen Raddampfer finanzierte, der 1864 in eine Schifffahrts-AG und diese wiederum 1915 in den Besitz Bayerns überging. 1959 wurden die Schifffahrtsbetriebe auf dem Königs-, Tegern-, Ammer- und Starnberger See zur Staatlichen Seenschifffahrt vereinigt, die 1997 in Bayerische Seenschifffahrt umfirmierte. Mit über 30 Schiffen und rund 170 Mitarbeitenden zählt die Seenschifffahrt zu den größten Binnenschifffahrten in Deutschland. Insgesamt werden jährlich - coronabereinigt - etwa 1,5 Millionen Fahrgäste befördert und Überschüsse erwirtschaftet. Einige Besonderheiten finden sich in Königssee: Dort arbeitet knapp die Hälfte der gesamten Belegschaft, dort sind aktuell 19 Schiffe im Einsatz, die bereits seit 1909 rein elektrisch angetrieben werden und dort wird in der südlichsten und höchstgelegenen Werft nicht nur repariert und gewartet, es werden auch neue Schiffe gebaut.

Auf dem Kochelsee besaßen seit 1899 fünf Bauern- und Fischerfamilien gemeinschaftlich das erste Motorschiff, das 1904 abbrannte. Auch die Bayernwerke AG setzte auf ein Boot. Die "Svea" versank allerdings 1923 bereits beim Stapellauf. Mehr Glück hatten dann die Brüder Hahnemann, die von 1918 an bis zu drei Passagierschiffe auf dem Kochelsee betrieben - nach dem Zweiten Weltkrieg war nur noch eines übrig. Die "MS Herzogstand" kam 1980 in den Besitz der Familie Kneidl. 2009 wurde es durch ein Schiff ersetzt, das zwar nicht mit allen Wassern gewaschen war, aber zumindest mit dem des Staffelsees: Als "MS Seehausen" hatte es neben anderen Passagieren viele Generationen von Kindern von Murnau aus zum Kinderzeltlager Lindenbichl übergesetzt. Nun wurde es zur "neuen" MS Herzogstand.

Die Linienfahrten werden auf beiden Seen von Mitte April bis Mitte Oktober angeboten. Während das kleine Schiff auf dem Kochelsee meist mit einem Schiffsführer auskommt, bestehen die Crews auf dem Starnberger See aus Schiffsführer und Maschinist, bei größeren Schiffen kommen ein oder zwei Matrosen dazu. Nachts werden die Schiffe im Hafen von einer Fremdfirma gereinigt, einmal wöchentlich aufgetankt - das größte Schiff hat dann rund 5000 Liter Diesel verbraucht - und auf jeden Einsatztag vorbereitet. Etwa zwei Stunden vor dem Auslaufen beginnt der Dienst des Maschinisten: Check der Motoren und der Elektronik, Ergänzung von Kühlflüssigkeit und Öl, Auffüllen der Trinkwasser- und Abpumpen der Toilettentanks. 90 Minuten vor dem Ablegen kommt die übrige Crew und reinigt den Außenbereich des Schiffes, bevor sie die Uniform anlegt. Gleichzeitig beschickt die Cateringfirma das Schiff mit allen Getränken und Lebensmitteln, abhängig von der Fahrdauer und den wetterbedingt erwarteten Passagierzahlen. Die letzte Linienfahrt endet um 18.40 Uhr, danach werden im Schnitt fünf Erlebnisfahrten pro Woche angeboten - die neueste ist eine Ü 30-Party in Tracht.

Eine ganz besondere Crew

Die Frage nach dem Kapitän bringt eine überraschende Antwort: "Wir haben keinen," sagt Betriebsleiter Markus Färber, 48 Jahre alt. Auf bayerischen Binnengewässern reicht ein Schiffsführerschein, und den haben drei Viertel der Besatzung. Seinen Personalbedarf richtet der Betriebsleiter ganz wesentlich auf den Winter aus, wenn die Schiffe gewartet und repariert werden: "Dafür brauchen wir Bootsbauer, Schreiner, Zimmerer, Maler, Elektriker, Sattler oder Schlosser." Und das führe zu einer flachen Hierarchie: Es gibt keine festen Teams, zumal jeder für jeden einspringen müsse und der Betriebsleiter bei Bedarf auch mal als Matrose mitfahre. "Im Sommer ist der Schiffsführer auf seinem Boot natürlich der Chef," erläutert Färber, "aber im Winter muss er sich dann vielleicht dem Schreiner unterordnen, der im Sommer sein Matrose war." Der Erwerb eines solchen Schiffsführerscheins ist nicht schwieriger als einer fürs Auto: Es gebe einen Theorie- und einen Praxisteil, dann nehme der TÜV die Prüfung ab und das Landratsamt stelle den Führerschein aus.

Auf dem Kochelsee arbeiten in der Sommersaison vier Mitglieder der Familie Kneidl sowie ein angestellter Schiffsführer, der im Winter bei den Liftbetrieben auf der Zugspitze beschäftigt ist. Kleinere Reparaturen übernehmen die Kneidls im Winter selbst, für die TÜV-Untersuchung wird das Schiff alle fünf Jahre von einem Kran aus dem Wasser gehoben und an Land aufgestellt - dann kann bei Bedarf auch mal der Rumpf neu lackiert werden.

Eine eigene Werft

Da die Fahrzeuge der Bayerischen Seenschifffahrt für Kräne zu groß wären, gibt es auch in Starnberg für Reparaturen im Winterhalbjahr eine eigene Werft – Zunächst einmal müssen die Boote winterfest gemacht, also sämtliche Flüssigkeiten abgepumpt werden, die gefrieren könnten. Danach werden die Schiffe nacheinander mit der Querhellinganlage – einer Art schrägem Fahrstuhl - aus dem Wasser geholt, um den Rumpf überprüfen und zu lackieren, falls zwischendurch nötig. Da alle fünf Jahre eine TÜV-Untersuchung ansteht, steht dies jedes Jahr für ein Schiff an: Nach dessen fachkundiger Überprüfung werden alle festgestellten Mängel behoben und das gesamte Boot dann neu lackiert. Nachdem sich die Hebeanlage im Freien befindet, können die Lackierarbeiten allerdings nur bei Plusgraden stattfinden, entsprechend sind diese Arbeiten zeitkritisch, denn sie müssen vor Saisonstart abgeschlossen werden. Für die Frost-Phasen bleiben die Wartungsarbeiten an den über den ganzen See verteilten Landungsstegen; dafür gibt es eine schwimmfähige Ramme, mit der man die alten Pylonen herausziehen und neue einsetzen kann. Außerdem werden die nicht sicherheitsrelevanten „Schönheitsreparaturen“ im Innenbereich durchgeführt, also z.B. der Boden erneuert oder die Sanitäranlagen ausgetauscht.

Work-Life-Balance

Der Schiffsführer am Tag der Reportage auf dem Starnberger See ist Alfred Staltmayr, gelernter Schreiner, seit 25 Jahren dabei und inzwischen 58 Jahre alt: "Die übliche Laufbahn ist, dass man als Stegwart anfängt, dann Maschinist und Matrose wird und irgendwann den Schiffsführerschein macht; und dann erst einmal ein kleineres Schiff führt." Staltmayr, ein eher gemütlicher, bedächtiger Mann, ist mit seiner Arbeit zufrieden, ohne euphorisch zu werden: "Es ist ja nie so, dass alles toll ist", es gäbe ja immer Licht- und Schatten. "Die Umgebung ist traumhaft und ändert sich mit den Jahreszeiten; besonders wird's, wenn ein Wetter aufzieht und sich ganz unterschiedliche Lichtstimmungen zeigen." Und man bekomme "schon viele positive Kommentare, die Passagiere freuen sich ja, wenn sie an Bord kommen." Auf der Sollseite stünden die Arbeitszeiten, "gerade im Sommerhalbjahr müssen wir halt dauernd am Wochenende ran", das sei schon eine Belastung fürs Privatleben. "Aber wie sich die Kollegen untereinander unterstützen und aushelfen, das ist schon toll." Zwei Wochen Urlaub im Sommer seien auch immer möglich, die Überstunden aus dem Sommer werden dann im Winter abgebaut.

Die MS Herzogstand fährt mit dem Bug aufs Ufer auf nimmt die Passagiere über einen beweglichen Bugsteg auf; für die deutlich größeren Schiffe auf dem Starnberger See gibt es dagegen Bootsstege und Stegwarte - und Beatrice Walden als einzige Stegwartin. Die 53-Jährige hatte am Morgen noch starken Seegang und sturmartigen Regen gemeldet; als das Schiff mittags anlegt und sie die Gangway zum Schiff hinüberschiebt, hat sich das Wetter beruhigt - aber gegen Waldens Laune hätte auch ein Orkan keine Chance. Sie sei gebürtige Bayerin, habe als Schauspielerin in New York, Los Angeles, Zürich und Köln gelebt. Jetzt ist sie unübersehbar glücklich darüber, dass sie "nach Hause" zurückkehren konnte und nun "am schönsten Ort der Welt" arbeite. Als Stegwartin in Tutzing freut sie sich darüber, dass alle 30 Minuten ein Schiff anlegt und die Kollegen mit ihr plaudern, "die sind wirklich nett und witzig - alle!" Davor verkauft sie Tickets an die Abfahrenden, danach vergibt sie Tipps an die Angekommen: "Vor allem Gastronomie, aber wenn's jemanden interessiert, sag' ich ihm schon, dass der Lenné-Park auf dem Weg zur Roseninsel besonders schön ist." Die Gäste seien grundsätzlich gut gelaunt - und ihr Glück perfekt, "hier zeigt der Herrgott, wie schön seine Schöpfung ist." Die unterschiedlichen Farben, die alleine das Wasser annehmen könne, seien "eine Schau", von den unterschiedlichen Lichtstimmungen ist sie völlig begeistert. Entsprechend hat sie mit dem Karrieremodell des Schiffsführers Staltmayr nichts am Hut, sie wolle lieber bleiben, was sie ist und wo sie's ist, nämlich an ihrem Steg und an der frischen Luft. Und auch sie lobt ausdrücklich die gute Stimmung im Team und die Kollegialität - also alles in Butter? "Nein", sagt sie und bringt das Gespräch weg von Urlaubsträumen auf den Boden der Realität. "Ich suche jetzt schon ewig und großflächig eine halbwegs vernünftige Wohnung - das ist eine Vollkatastrophe hier, das können Sie in Ihrem Magazin ruhig mal schreiben."

Fotos: Gregor Miklik

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