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Mit Innovationen aus Penzberg für ein besseres Leben weltweit

50-jähriges Jubiläum Roche in Penzberg

Von Gregor Miklik

Penzberg, 06.07.2022 - Die Roche Holding AG hat 2021 ihr 125-jähriges Jubiläum begangen – in diesem Jahr feiert der Standort Penzberg 50 Jahre. Über einen Weltkonzern, der voller Besonderheiten steckt – und die Medizin von morgen prägt.

Die deutsche Wiedervereinigung und der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sind untrennbar miteinander verbunden. Ein Geheimnis aber steht nicht in den Geschichtsbüchern: Dass es womöglich an einem Penzberger Unternehmen gelegen hat, dass es überhaupt dazu kommen konnte. Denn ausgerechnet im Juli 1989 hatte Genscher nämlich einen Herzinfarkt erlitten. Nachdem er eine Therapie mit einem in Penzberg entwickelten Präparat erhalten hatte, war er nach nur drei Wochen wieder arbeitsfähig – und konnte kurz darauf seine berühmte Balkonrede von der Prager Botschaft an die Geflüchteten der DDR richten. Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt, die aber das Vertrauen auf höchsten Ebenen in das Unternehmen Roche unterstreicht.

Standort Penzberg feiert im Jahr 2022 sein 50-jähriges Jubiläum

Die börsennotierte Roche Holding AG, kurz Roche genannt, entwickelt und stellt neben Medikamenten auch diagnostische Tests und Geräte zur medizinischen Untersuchung her. Roche hat seinen Hauptsitz zwar in Basel, in Deutschland beschäftigt Roche allerdings rund 17500 seiner weltweit mehr als 100000 Mitarbeiter, 7200 davon in Penzberg. Und dieser Standort feiert im Jahr 2022 sein 50-jähriges Jubiläum. Dazu hatte der Konzern, der in die beiden Divisionen Pharma (weltweit führend in Onkologie) und Diagnostik (weltweit führend in der In-Vitro-Diagnostik) aufge-teilt ist, kürzlich eingeladen.

Grundsteinlegung des ersten Gebäudes am 29. Juni 1972

Um die Firmengeschichte des Unternehmens zu präsentieren, hatte das Unternehmen Paul Erker, Professor für neuere und neueste Geschichte an der LMU München, Fachbereich Unternehmensgeschichte, engagiert. Der große Saal im Nebenraum des Casinos war mit rund 250 Personen gut besetzt, und Pressesprecher Johannes Ritter erinnerte zunächst an die Grundsteinlegung des ersten Gebäudes mit dem Namen „4.4.2“ am 29. Juni 1972.

Rückblick auf Eröffnung der Forschungsstelle „Biochemica Boehringer“ in Tutzing 1946

Erker indes setzte mit seinem Rückblick früher an, nämlich mit der Eröffnung der Forschungsstelle „Biochemica Boehringer“ in Tutzing 1946. Nachdem das Stammwerk Mannheim 1942 ausgelagert werden musste, kamen die ersten Chemiker bereits 1942 an den Starnberger See und entschieden sich nach dem Krieg, zu bleiben. Die Gemeinde wurde von Boehringer Mannheim beschrieben als ein „Dorf, dessen Bewohner vom Fischfang und vom Tourismus lebten.“ Der Standort indes „in angenehmer Stille und alpiner Umgebung“ sei „eine gute Voraussetzung für die erforderliche Reinheit der chemischen Versuche.“

Im März 1954 stieß der damals 34-jährige Biochemiker Hans Ulrich Bergmeyer zur „Biochemica“ und übernahm alsbald die Leitung der Forschungsstelle. Unter ihm machte sich die Enzym- und Substratforschung rasch einen Namen, die Forschungseinrichtung wuchs stetig. Als sich der Plan konkretisierte, die Forschung um eine Produktionsstätte zu erweitern, war klar, dass das dafür erforderliche Platz in Tutzing nicht vorhanden war – entsprechend hatte Boehringer geplant und bereits 1971 das Gelände des ehemaligen, 1966 stillgelegten Bergwerks, in Penzberg erworben.

Penzberger „Enzymartisten“

Nach dem Richtfest im Herbst 1972 nahmen im Juli 1974 die ersten 125 Mitarbeiter unter Werksleiter Dr. Gotthilf Näher die Arbeit auf. Einig waren sich die selbstbewussten Mitarbeiter der beiden bayerischen Standorte Penzberg und Tutzing in ihrer Kritik über die „Regulierung und Bevormundung“ aus Mannheim („Vermannheimerung“), was sie allerdings nicht davon abhielt, sich auch aneinander heftig zu reiben, wobei die Tutzinger durch ihren etablierten Standort anfangs lauter waren („Horror Penzbergis“ – frei aus dem Lateinischen übersetzt: „In Penzberg klappt ja gar nix“). Allerdings drehte sich der Wind bald, bereits 1978 wurde von den Penzberger „Enzymartisten“ gesprochen, 1984 begann der Umzug erster Forschungseinheiten aus Tutzing, im Sommer 1987 wurde eine eigene Forschungsabteilung in Penzberg eröffnet: Nach 15 Jahren Trennung zwischen Forschung und Produktion war beides nun an einem Standort vereint.

„Penzberg“ wurde zum Synonym für die technologische Transformation im Freistaat

1989 schickte die Konzernzentrale eine Beratungsfirma nach Penzberg, Erker sprach in seinem Vortrag von einer „Modeerscheinung dieser Zeit“. Doch der Werksleitung um Näher gelang es, deren ursprünglichen Beratungsauftrag „Verbesserung der Produktivität“ in „Problematik des schnellen Wachstums“ umzudefinieren – was das Selbstbewusstsein unterstreicht, das den Penzbergern damals wie heute zu eigen ist. Zu Recht, denn in den 1990er-Jahren begann eine Phase, in der die Bayerische Staatsregierung (Werbeslogan damals: „Laptop und Lederhose“) den Standort Penzberg als Vorzeigeunternehmen benannte. „Penzberg“ wurde zum Synonym für die technologische Transformation im Freistaat und kreierte seinerseits den Slogan „Bier, Brezn und Biotech“. Das aber machte das Unternehmen wenig später zur Zielscheibe der heftig einsetzenden und gut ein Jahrzehnt dauernden gesellschaftlichen Kritik an der Gentechnik. Die Anfeindungen wurden so heftig, die Drohungen in Einzelfällen so drastisch, dass die Werksleitung die Produktionsvoraussetzungen zeitweise gefährdet sah – aber letztlich durchhielt: Viele Biotech-Firmen verlagerten ihre Produktion in dieser Zeit ins Ausland –  Boehringer blieb, verzichtete allerdings fortan auf den oben genannten Werbeslogan.

Die Behandlung Hans-Dietrich Genschers blieb übrigens nicht die einzige Berührung mit der Bundespolitik, wie Erker enthüllte: Anfang der 1990-er Jahre war es bei der Luftwaffe offenbar gängige Praxis, den Standort Penzberg als „Übungsziel“ anzufliegen. Nachdem es zu einer Beinahe-Kollision in Werksnähe gekommen war, intervenierte Werksleiter Näher beim damaligen Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg – und war damit erfolgreich.

Penzberg: Erstklassiger Standort in Europa

Ende der 1990-er Jahre setzte der Basler Pharmakonzern der F. Hoffmann-La Roche AG auf eine klare Wachstumsstrategie und hatte den konkreten Wunsch, zu den bereits vorhandenen außereuropäischen Biotech-Standorten einen erstklassigen Standort in Europa zu gewinnen. „Boehringer Mannheim in Penzberg […] ist, nach all unseren Analysen, der Standort schlechthin“, wird der damalige Roche-Finanzchef Henri B. Meier zitiert. Und so wurde der Standort Penzberg im Jahr 1997 von Roche übernommen. Roche war deutlich stärker produkt- und damit ergebnisorientiert als Boehringer, 2002 wurde Tutzing geschlossen. Aber: Die Bevormundung aus Mannheim war nun Geschichte und die Befürchtung, die in Penzberg gepflegte Selbständigkeit könnte beschnitten werden, erfüllte sich nicht. Denn die Dynamik und Erfolge in Penzberg waren ja wesentliche Gründe für die Übernahme gewesen.

"...Die Leute aus Penzberg...Weil die das einfach besser können"

Neu für die Penzberger war indes das Erlebnis des „großen Ganzen“ in einem Weltkonzern. Die anhaltende Bedeutung und Wertschätzung Penzbergs im Konzern wird deutlich durch ein Zitat von Franz B. Humer: Der Roche-CEO äußerte 2007, „wenn wir ein wirklich ernstzunehmendes Produktionsproblem in den USA [bei Genentech – Anm. d. Red.] haben, dann schicken wir die Leute aus Penzberg dorthin. Weil die das einfach besser können, als die Amerikaner.“

Penzberg zieht Mitarbeiter aus der ganzen Welt an

Der spätere Penzberger Werksleiter Dr. Gotthilf Näher hatte zudem immer ein starkes Augenmerk auf die Beziehung des Biotech-Unternehmens zur Stadt. Die Beziehung hat sich bis heute durchaus gedeihlich entwickelt und der Standort Penzberg, der heute dreimal so viele MitarbeiterInnen beschäftigt, verdient laut Erker Anerkennung für seine Integrationsarbeit. Dass Penzberg Mitarbeiter aus der ganzen Welt anziehe, schaffe eine bunte, vielfältige, weltoffene Mischung. Know-how, Selbstbewusstsein, Flexibilität, Individualität, familiäre Strukturen und hohe Motivation mündeten in einem hohen Leistungsvermögen. Gemeinsam mit der Einbettung in einen global agierenden Konzern führe das zu einem einzigartigen Ergebnis: die Spitzenposition Penzbergs in der Welt – und für die Welt.


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