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Fernwanderweg von München nach Venedig

Zu Fuß über die Alpen

Von Benjamin Engel

München/Venedig, 25.9.2025 - Die Fernwanderer nach Venedig starten am Münchner Marienplatz. In diesem Jahr begeben sich zwischen 40 und 50 Leute auf den Traumpfad des Wolfratshausers Ludwig Graßler.

Nur dem lange Jahre in Wolfratshausen ansässigen Ludwig Graßler ist es zu verdanken, dass sich eine große Gruppe an Fernwanderern jedes Jahr am 8. August vom Münchner Marienplatz Richtung der italienischen Lagunenstadt auf den Weg macht. Der passionierte Berggänger ging diese Route 1974 erstmals gegangen und hat über seinen „Traumpfad“ einen Wanderführer geschrieben, der mehrfach aufgelegt worden ist. 


Heuer – also 2025 – ist ein besonderes Jahr. Denn am 2. August wäre Ludwig Graßler hundert Jahre alt geworden. ist „Die Zahl Acht hatte für Ludwig Graßler etwas Magisches, sie stand für die unendlichen Möglichkeiten des Weges“, sagt der Autor Stefan Lenz, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in Graßlers Nachfolge einen Wanderführer für die Tour von München nach Venedig verfasst. Gemeinsam mit Karl „Charlie“ Wammetsberger, der mit Graßler eng befreundet war, ist Lenz am 8. August auf den Marienplatz gekommen, um die Fernwanderer auf ihre Tour zu verabschieden, die in 28 Etappen die Alpen quert. 7

„Ich freue mich auf den Trip“

Der 24-jährige Mehdi Amiri aus Köln ist einer von ihnen. Der gebürtige Afghane hat sich seinen dunklen Bart akkurat in Form gestutzt und strahlt Selbstvertrauen und Stärke aus. „Ich freue mich auf den Trip“, sagt er. „Beim Wandern kann ich einfach meine Gedanken rauslassen, mich auf eine Sache konzentrieren.“ Das ist ihm wichtig.

Amiri berichtet davon, seit vier Jahren als Altenpfleger zu arbeiten. Die ständig wechselnden Schicht- und Notdienste hätten ihn an seine körperlichen Grenzen gebracht. Um nicht krank zu werden, habe er eine Pause gebraucht. „Für den Traumpfad habe ich mir einen Monat Zeit genommen“, sagt er. „Ich bin auf die Idee gekommen, dass ich das machen muss, bevor es mir gesundheitlich wirklich schlecht geht.“

Weitaus größere Schwierigkeiten hatte Mehdi Amiri aber in seinem bisherigen Leben zu bewältigen. Er floh als Jugendlicher aus Afghanistan und erreichte über die Türkei vor zehn Jahren zu Fuß Deutschland. Seitdem lebt er in der Bundesrepublik. Nun überlege er, sich beruflich neu zu orientieren. „Ich sehe mich in der Jugendhilfe“, sagt er. „Ich spreche Türkisch, Persisch und Dari. In der Integrationsarbeit, Jugendhilfe oder als Schulbegleiter kann ich mich sehr gut einbringen.“

Auf Radtouren über 120 bis 150 Kilometer hält sich der junge Mann sportlich fit. Und er wandert in der Mittelgebirgsregion des Harzes. Die Alpenüberquerung bis nach Venedig tritt er allein an. „Ich gehe mit Vergnügen los“, sagt Amiri. „Angst habe ich keine mehr.“ Vollkommene Bergeinsamkeit wird es wohl ohnehin keiner der Fernwanderer auf der Route nach Venedig erleben. Manche begegnen sich, je nach individueller Kondition und Lauftempo, immer wieder. Und auf den Hütten kommt man schnell mit anderen Gästen ins Gespräch. Auf die Begegnungen freue sie sich am meisten, sagt denn auch Birgit Lammers, die aus der Nähe von Murnau stammt. Sie ist im Alpenverein aktiv und viel in den Bergen unterwegs, wie sie sagt. Auf so einer langen Tour sei sie aber zum ersten Mal, erzählt sie.

Birgit Lammers plant allerdings nur die ersten 14 Tage des Traumpfads, also die Hälfte der Strecke, zu wandern. Mehr Zeit habe sie sich aus familiären und beruflichen Gründen nicht nehmen können, sagt sie. „Ich gehe einfach los und schaue, wie weit ich komme.“ Neben den Begegnungen treibe sie vor allem die Abenteuerlust auf die Tour.

Lammers hat sich ganz bewusst entschieden, allein loszugehen, wie sie erklärt. Ihr Mann, der sie zum Marienplatz begleitet hat, kann aus beruflichen Gründen nicht mitkommen. An die ein oder andere Freundin habe sie zwar gedacht, sich aber schließlich dagegen entschieden, jemanden mitzunehmen. Denn als Duo, sagt sie, wären sie viel zu sehr auf sich selbst und ihre Befindlichkeiten bezogen gewesen.

„Traumpfad“-Geher motivieren

Die Gruppe der Fernwanderer steht für ein breites Abbild der Gesellschaft: Unterschiedliche Menschen verschiedener Altersgruppen mit je eigenen Motivationen machen sich auf den Weg. Der 59-jährige Uwe Arnold aus Ludwigshafen in der Pfalz ist bereits im Vorruhestand. Er habe vor zwei Monaten einen Fernsehbeitrag über die Verabschiedung der „Traumpfad“-Geher aus dem Jahr 2023 gesehen, sagt er. Das habe ihn motiviert, die Tour selbst zu unternehmen.
Dafür hat er sich seinen Wanderrucksack gekauft, der mit gefülltem Trinkwassersack um die zehn Kilogramm wiegt. Wer so viel Last mit sich schleppt, muss trainiert sein. Einmal im Jahr gehe er zu Fuß auf die Zugspitze, sagt Arnold. Auf allen Aufstiegsrouten sei er inzwischen unterwegs gewesen. Auch in diesem Jahr habe er schon Deutschlands höchsten Berggipfel erreicht.
  
Charlie Wammetsberger war ein Freund und Nachbar von Ludwig Graßler, der mit 94 Jahren am 22. August 2019 gestorben ist. Fünfmal ist der 77-Jährige bereits den Traumpfad von München nach Venedig gegangen. Er will die Tradition Graßlers, die Fernwanderer traditionell am 8. August aus München zu verabschieden, fortführen. Aus Anlass des 100. Geburtstags von Graßler organisiert die Stadt Wolfratshausen in der Tourist-Information am Untermarkt 10 eine kleine Ausstellung.

Davon, wie Begegnungen das eigene Leben prägen, kann auch Stefan Lenz berichten. 2002 oder 2003 habe er Graßler kennengelernt, erinnert sich Lenz. Der habe damals einen Vertrag für eine Neuauflage des Wanderführers zum Traumpfad gehabt, ihm aber erklärt, lieber wandern statt schreiben zu wollen, solange er gesund genug dafür sei. Den Vertrag für das neue Buch habe er dann von Graßler übernommen, erzählt er.

Lenz ist selbst zweimal die ganze Tour gelaufen – einmal von Venedig aus, weil es auf dem Weg nach Norden mit der Sonne im Rücken einfach die besseren Bildperspektiven gebe, wie er sagt. Den 8. August als traditionellen Aufbruchstag von München könne man auch ganz pragmatisch sehen, sagt er. Denn dann gebe es meistens eine stabile Wetterphase und weniger Hitze in den italienischen Alpen und in Venezien. Gründe, um sich auf den Weg zu machen, gibt es jedenfalls genug.

Fotos: Benjamin Engel

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