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Vor 25 Jahren wurde in Bad Heilbrunn das erste Zauber-Fondue serviert

Hogwarts liegt in Oberbayern

Von Gregor Miklik

Bad Heilbrunn, 27.6.2022 - Es muss offen bleiben, ob sich J. K. Rowlings bei ihren „Harry-Potter“-Romanen in Bad Heilbrunn hat inspirieren lassen, zumal sie vermutlich kein Bairisch spricht; aber die Eventgastronomie à la „Palazzo“ hat sicher nicht Alfons Schuhbeck erfunden: Bereits vor 25 Jahren wurde in Bad Heilbrunn das erste Zauber-Fondue serviert – bis heute bietet das „Hotel zum Zauberkabinett“ seinen Gästen diese magischen Events – und dazu Übernachtungen in zauberhafter Umgebung. Und selber zaubern kann man dort auch ein bisschen – wenn die Perspektive stimmt.

Spätestens seit Alfons Schuhbecks "Palazzo" ist die Eventgastronomie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Dass die Wurzeln dieser kulinarischen Veranstaltungen in einem hübschen, aber unspektakulären Haus im Bad Heilbrunn liegen, wissen die Wenigsten. Ein Haus, in dem sich zudem über Jahrzehnte die Crème de la Crème der deutschen Magier und Mentalisten traf. Heute bietet das Zauberkabinett mit seiner Geschichte und Aura Besuchern einen ganzen Blumenstrauß an Möglichkeiten: Ho-telgäste können sich von der skurrilen, witzigen und detailverliebten Zauber- und Hexendekoration inspirieren lassen, Krimi-Begeisterte treffen dort auf die mit circa 1400 Büchern vermutlich größte Krimi-Bibliothek in der Region (Begonnenes nimmt man zum Fertiglesen mit nach Hause). Wer den richtigen Durchblick findet, kann als Neuling seine Liebsten mit Fotos eines ersten eigenen Zauber-Kunststücks beeindrucken; Jung-Magier finden im Shop eine große Auswahl an Zauberartikeln, die der Inhaber Alexander Römer selbst erfindet und produziert. Profilierte Zauberer haben Zugang zur Zauber-Bibliothek. Und dann gibt es ja noch das Zauberfondue, das gerade 25. Jubiläum feiert: Eine Zaubershow mit Vollverpflegung in geselliger Umgebung.
 
Die Geschichte

Schon der Erbauer des Hauses, Johann Jaroslaw Marcinowski, war ein Freigeist und Pionier. Der Arzt aus Berlin war mit seinen modernen psychoanalytischen The-rapiemethoden (Gärtnern, Malen, Spazieren gehen) derart erfolgreich, dass seine Patienten und Patientinnen ihn bis in sein Refugium in Oberbayern verfolgten, woraufhin er 1923 ein Sanatorium – das heutige Zauberkabinett – erbaute. Bereits 1929 allerdings wurde aus dem Sanatorium eine Fuchsfarm der Maeser Pelztier GmbH. Seit dem Erwerb des Anwesens durch die Eheleute Neugebauer 1937 ist das Haus in Familienbesitz, denn die Käuferin war die Großmutter des heutigen Inhabers. Zunächst wurden dort weiter Silberfüchse gehalten. Nachdem die Pelztierzucht zunehmend unrentabel geworden war, hatten die Neugebauers das Haus 1956 zur Fremdenpension Oberland umgebaut, das dann die nächste Generation 1975 zum Gästehaus Oberland ausbaute. Wiederum eine Generation später brach die heutige Inhaberin Cornelia Römer (geboren 1971) kurz vor dem Abschluss ihr Studium der Wirtschaftsmathematik ab, heiratete den jungen Hotelierssohn Alexander und wurde gelernte Hotelfachfrau. Ihr Mann (geboren 1967) hatte in renommierten Häusern wie dem Grand Hotel Sonnenbichel in Garmisch gekocht, bevor beide das Gästehaus Oberland 1997 übernahmen.  

Schwerer Start  

Das Traditionsbewusstsein war groß, der Enthusiasmus ebenso – die wirtschaftliche Situation dagegen weniger: Infolge des Zusammenbruchs der Badekultur in Tölz in den 1990-er Jahren waren die Übernachtungszahlen in der gesamten Region deutlich zurückgegangen. Cornelia Römer empfahl ihrem Mann einen kleinen „Zaubertrick“, nämlich zwei Dinge zu verbinden, die er gut konnte: In der Kochlehre war er sehr erfolgreich und gezaubert hatte er, seit er zwölf Jahre alt war. Daraufhin fand im Juni 1997 das erste „Zauberfondue“ statt und wurde für die Römers zu einer Erfolgsgeschichte, denn ihr Hotel entwickelte sich nun zu einem Dreh- und Angelpunkt der deutschen Zauberwelt. Es gab regelmäßig Seminarveranstaltungen für Zauberkünstler, Alexander Römer entwickelte und handelte mit Zauberartikeln, die Mentalisten begannen mit regelmäßigen Zusammenkünften und „in guten Jahren hatten wir bis zu 150 Zauberfondues“, erinnert sich der Inhaber. 2011 fand dann die aufwendige Umgestaltung der Zimmer und die Umbenennung in „Hotel zum Zauberkabinett“ statt. Bad Heilbrunn war im Zenit der deutschen Zauberei angekommen – weitgehend unbemerkt vom Rest der Welt, was offenbar in der Natur der Sache liegt: Die Muggel – bei Harry Potter die nicht zauberkundigen Menschen -  wissen ja auch nicht, wo die Zauberschule Hogwarts liegt und was genau dort passiert.

Beständig ist nur der Wandel

Inzwischen müssen sich die Römers die Zauberprominenz mit Anderen teilen: Zum Einen sind bundesweit weitere Hotels mit ähnlichen Themenschwerpunkten entstanden, die Aktivitäten der Szene haben sich entsprechend verteilt; zum Anderen zogen sich ab 2012 Römers Eltern aus dem Betrieb zurück. „Das war einschneidend für meine Frau und mich!“, sagt der Inhaber. „So sehr ich es ihnen gegönnt habe, waren ohne deren Unterstützung viele Sonderaktionen für nur noch zwei Betreiber zeitlich einfach nicht mehr machbar“. Damals hatte er den Trick mit der beliebigen Zeitvermehrung also noch nicht drauf. Inzwischen findet Alexander Römer scheinbar unendlich viel Zeit für seine vielfältigen Aktivitäten: Unverändert baut er selbst Requisiten und konzipiert Vorträge, betreibt seinen Zaubershop, bereitet die Menüs vor, entwickelt die Shows und gibt dann abends den Conférencier und den Magier; Muggel würden dieses Programm sicher nicht in einem 24-Stunden-Tag unterbringen.

Brot und Spiele

Bei den Gästen ist die Begeisterung offenbar ungebrochen: Viele besuchen das Zauberkabinett laut Römer beim ersten Mal noch als Geschäftsreisende und alleine - und anschließend regelmäßig mit Anhang, um das Ambiente zu genießen. Beim Fondue ist den Fans ebenfalls kein Weg zu weit:  Petra Kreuzer mit Ehemann, ihren Kindern plus deren Partner respektive Partnerin, ihrer Mutter und einer Freundin aus Nürnberg angereist: "Wir waren vor zwei Jahren schon einmal hier und hatten das besondere Angebot des Zauberfondues entdeckt, aber es war ja Corona." Für eine Feier zu ihrem 60. Geburtstag hat es mit Verzögerung geklappt: "Jetzt sind wir für vier Nächte hier, haben uns in der Nähe zwei Ferienwohnungen gemietet, weil das Hotel war ja voll", erzählt sie - und ordert vor dem nächste Zauber-Gang die Dessert- sowie die Schnapskarte.
  Das Zaubermenü dauert knappe drei Stunden, wobei das Essen für vier Zau-ber-Episoden unterbrochen wird. Die präsentierten insgesamt elf Tricks wären an sich schon beeindruckend, sind aber zur besseren Unterhaltung in kleine Geschichten eingepackt. Das führt dann im einen Fall dazu, dass Siri - das sprachgesteuerte Assistenzsystem im iPhone - auf Anfrage des Magiers die beiden Karten benennt, die zwei Gäste dem Stapel entnommen hatten.

Bei einem anderen Trick suchen sich drei Frauen aus fünf Witz-Medikamenten, wie zum Beispiel  "Anti-Chaos-Pillen", "Idiotikum Akut", "Anti-Aggressivum", je eines aus. Der  Magier findet dieses dann durch Abfrage scheinbar alltäglicher Informationen wie Beruf, Arbeitssituation, Sternzeichen oder Hobbies heraus. Eine der drei Frauen ist Stephanie Mayr (30 Jahre): "Ja, mia san zu acht do, mia ham a griabig's Geburtstagsg'schenk für die Lisa 'braucht." Dominic Forster, 31 Jahre, ergänzt: "Wir waren vor ein paar Jahren schon einmal da, deswegen wussten wir, dass der Lisa das gefällt." Einen Teil des Programms hatten sie vor Corona auch schon erlebt, aber "das war total wurscht, das war beim zweiten Mal genauso stark, wie beim ersten." Und zum Schluss wieder Mayr: "Des is' für Jung und Alt, des gfoid alle: Griabig zsammhock'n, was G'scheid's zum Essen, und dann kriagt ma da a so a Show geboten - für den Preis ist des fei voi in Ordnung." Antje Niebergall, mit Großfamilie aus Penzberg zur Feier des 52. Geburts-tags da, zitiert aus der durchaus tiefgründigen Empfehlung der Freundin, die sie her geschickt hat: "Dir wird hier den ganzen Abend lang etwas geboten, das ist doch mal was Anderes, als Kino oder Theater, da ist jemand, der dir seine Zeit widmet, das ist doch cool." 

Zukunftsplanung bei Zauberern

Beim Ausblick in die Zukunft wird der sonst so vitale Alexander Römer etwas melancholisch: 85 Jahre nach Erwerb des Hauses durch die Familie, nach 65 Jahren als Hotelbetrieb und 25 Jahren Zauberfondue fühlt er sich dem Haus und seiner Funktion verpflichtet - und stößt als Zauberer an Grenzen: "Auch wenn wir staatliche Hilfen bekommen haben, hat uns die Corona-Pandemie erschüttert". Und gerade eben haben seine Kinder - wohl infolge dieser Krise - erklärt, das Haus nicht weiterführen zu wollen. Bleibt zu hoffen, dass es sich die Kinder noch einmal anders überlegen – dass sich die Rahmenbedingungen wieder bessern oder der Vater einen wirksamen Abwehrzauber findet – damit sich J.K. Rowling und Alfons Schuhbeck weiterhin in Bad Heilbrunn inspirieren lassen können und man als Übernachtungsgast wie auch beim Zauberfondue noch lange magische Momente erleben kann.

Fotos: Gregor Miklik


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