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Herzogstandbahn am Walchensee

Arbeiten in schwindelnder Höhe

Reportage von Gregor Miklik

Walchensee, 29.9.2022 - Seine königliche Hoheit wurde bei Bedarf auch per Sänfte bergauf getragen – auch wenn es noch genügend Härten gibt, hat´s die Belegschaft der Herzogstandbahn heute leichter. Und über die schöne Umgebung freuen sich die Angestellten mindestens so sehr, wie die Fahrgäste.

Vor dem herrlichen Ausblick vom Gipfel herunter kommt erst einmal die Mühe des Aufstiegs – so war das früher. Am Herzogstand stimmt das schon lange nicht mehr, 1954 wurde die erste Seilbahn eröffnet. Inzwischen findet die Mühsal früher statt, nämlich bei der Anfahrt zur Talstation. Die Zahl der Parkplätze ist begrenzt, der Platz auf den Straßen oft ebenfalls. Entlastung schafft ein öffentlicher Bus, der stündlich vom Bahnhof Kochel abfährt und mit einem E-Bike wird auch eine Fahrradtour den Kesselberg hinauf für Viele zur Option. Doch wenn man die Talstation der Herzogstandbahn erreicht hat, beginnt die Erholung – wenn man nicht dort arbeitet. Die schöne Umgebung ist für alle schön, aber die Arbeit kann auch sehr fordernd sein. Wenn es besonders zäh wird, hilft vielleicht ein Rückblick in royale Zeiten: König Ludwig II. reiste eher selten mit leichtem Gepäck – er musste es ja nicht selbst tragen: Wo es ging, transportierten Pferdewagen den König und seine Bagage, manchmal aber war Handarbeit gefordert; die gibt´s heute nur noch beim Schnee schaufeln im Winter – das ist hart genug.

Geschichte der Herzogstandbahn

Seinen Namen erhielt der Herzogstand 1535 durch die Bayern-Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. Seit 1865 ist die Existenz einer Aussichtsplattform verbürgt, spätestens damit war bekannt, dass man von dort einen wunderbaren Blick auf das Voralpenland hat. Bereits acht Jahre zuvor hatte König Max II. von Bayern das Herzogstandhaus erbauen lassen, in dem heute eine Gaststätte be-trieben wird. Mit zum Ensemble gehört auch das Königshaus, das sein Sohn, König Ludwig II., erbauen ließ und bis zu seinem Tod oft besuchte. Nicht beim Herzogstand, aber zumindest vom Schachen ist es aktenkundig, dass sich der König durchaus auch in einer Sänfte, einer Kutsche oder im Pferdeschlitten chauffieren ließ, insofern gibt es quasi eine royale Tradition, sich bei der Bergbesteigung einer - im Ernstfall menschlichen - Aufstiegshilfe zu bedienen.
 
Der erste Sessellift wurde 1954 am Hausberg des Märchenkönigs in Betrieb genommen - mit bis zu 88 Prozent Steigung der damals steilste in Europa - und 1973 von der Gemeinde Kochel übernommen; als Anfang der 1990-er Jahre eine aufwendige Modernisierung angestanden hätte, wurde die neue Kabinenbahn geplant und in nur neun Monaten gebaut. Die Betreibergesellschaft war bayernweit das erste Joint-Venture zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft: 51 Prozent gehören der Gemeinde Kochel, 49 Prozent der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen, entsprechend richtet sich die Vergütung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes: "Wegen des Geldes alleine arbeitet hier niemand, man muss die Arbeit in dieser besonderen Umgebung schon mögen", kommentiert dies der Geschäftsführer Jörg Findeisen.

Der Weg zum Bergbahnführer

Findeisen selbst ist ein erster Beleg dieser These: Er ist 57 Jahre alt, seit dem 1. Januar 1999 dabei und stammt aus Münster, hat also für einen „unheimlich abwechslungsreichen Job“ die Heimat weit hinter sich gelassen. Da habe die Freude an der Natur schon eine wesentliche Rolle gespielt. Der gebürtige Kochler Christian Blessing, geboren 1971, ist dagegen eher hineingewachsen – „ich hab‘ mit zunehmendem Alter meine Arbeit in diesem wunderbaren Ambiente immer mehr zu schätzen gelernt.“

Nach einer Lehre als Industriemechaniker und zwei Anstellungsverhältnissen in der Branche führte eine längere Auslandsreise zur Neuorientierung: „Ich hab‘ 1994 in der Bauphase angefangen, hab‘ also die Eröffnung der neuen Bahn miterlebt.“ Seine Berufsbezeichnung sei „Seilbahnangestellter“, es gebe bei ihnen niemanden, der nur als Bergbahnführer arbeite. „Von unseren neun festen Leuten, im Sommer kommen zwei Kolleginnen für die Kasse dazu, müssen alle Alles betreuen können: die Parkplätze, Ticketverkauf, Einlasskontrolle, Kabinendienst, Wartung sowie Winterdienst“. Die Mitarbeitenden sind nicht nur für die Betreuung des Schlepplifts und die Präparierung der Piste verantwortlich, sondern auch für die Instandhaltung und Verkehrssicherung der Wanderwege zum Berggasthaus und zum Aussichtspavillon. Insgesamt sind das gut 1,5 Kilometer – im Sommer schon eine lange Strecke, im Winter eine Herausforderung.

Arbeitsprofil am Berg

Die Kälte im Winter sei teilweise "heftig", sagt Blessing, sei ihm aber im Vergleich zur Hitze im Sommer fast lieber, denn gegen Letztere könne man nichts tun: "Die Passagiere stehen nur vier Minuten in der heißen Kabine, der Bergbahnführer dagegen teilweise den ganzen Tag." Die Druck-veränderung vom Tal zum Berg und retour sei schon bei normaler Witterung eine Belastung für den Kreislauf: "Dass ich gerne Bergtouren mache und öfter Kajak fahre, hilft als Training bestimmt". Die Belegschaft müsse ihre Fitness auch regelmäßig mit Belastungs-EKGs beim Betriebsarzt nachweisen, übergewichtig sei da keiner; dazu komme ja auch noch, die knapp einen Kilometer lange und rund 60 Meter breite Lifttrasse immer wieder freizuschneiden - bei bis zu 88 Prozent Steigung. Trotz Hitze, Kälte oder Steigung: Dass man bei der Herzogstandbahn in der Natur arbeite, sei definitiv ein Entscheidungskriterium gewesen; und hätte ihn beflügelt: "Mit dem Bergwan-dern habe ich erst angefangen, als ich hier schon dabei war - die Freude daran kam mit den tägli-chen Erlebnissen und das hat sich bis heute nicht verändert."

Allerdings fallen ihm Besonderheiten, wie beispielsweise die unterschiedlichen Lichtstimmungen und Perspektiven, im Tal und auf dem Gipfel, oder der Wechsel der Jahreszeiten, vor allem vor oder nach dem Dienst auf: "Während der Arbeit hab' ich da meistens keinen Kopf dafür." Im Winter sei es ruhiger, da könne man die Natur mehr genießen, aber man müsse mit der Kälte und den Schneemengen umgehen können. Findei-sen erläutert, dass aufgrund des Naturschutzes die Bergstation 1994 ohne Überdachung geplant wurde: "Wir haben natürlich eine Schneefräse, aber die können wir auch nicht überall einsetzen."

Personenschutz steht über allem

Es gibt täglich eine äußere Sichtkontrolle insbesondere der Rollen und der Schalter. In der wö-chentlichen Kontrolle werden die Laufwerke der beiden Kabinen gewartet, insbesondere die Rollen gefettet. Bei der monatlichen Wartung werden die zwei Laufwerke abgehoben und alle Rollen einzeln überprüft - dazu kommt eine Unterbodenkontrolle. Und dann gibt es zwei Inspektionen pro Jahr: Die längere Wartung Ende November dauert vier bis fünf Wochen inklusive TÜV, die kürzere im Frühjahr nur 14 Tage. Nachdem die Kabinen in dieser Zeit nicht fahren, wird diese Zeit für Fortbildungen genutzt, allerdings auch für zeitintensive Arbeiten wie das Ausforsten der Bahntrasse und die Instandhaltung der Bergwege. Diese Arbeiten seien vor allem körperlich anstrengend, aber die Bergungsübungen seien laut Findeisen die größte Herausforderung: "Jeder Kabinenbegleiter muss in der Lage sein, im Notfall die Kabine zu evakuieren; die schaukelt dann irgendwo 20 Meter über dem Boden bei Dunkelheit im kalten Novemberwind. Die Passagiere werden dann panisch" - auch wenn's nur eine Übung mit Freiwilligen sei. Dass die Mitarbeitenden solche Herausforderun-gen meisterten, sei bei jeder Neueinstellung die Messlatte, "da hatte ich bisher offenbar ein ganz gutes Näschen," sagt Findeisen stolz.

Freude an der Arbeit

Fast jeder Bewohner im Oberland kennt eine Seilbahn aus eigener Erfahrung, die meisten Menschen vermutlich mehrere, Sessellifte und Skilifte gehören ja auch dazu. Kaum jemand dürfte sich bewusst machen, dass diese Branche im Vergleich winzig ist. "Bei uns kennt jeder jeden", sagt Findeisen. In der Ausbildung, bei Fortbildungen, bei Verbandsversammlung treffe man national und international immer wieder die gleichen Leute - und das sei ausgesprochen herzlich, freund-schaftlich und sehr kollegial, da helfe man sich auch mal mit einem Ersatzteil aus oder schicke einen eigenen Kollegen für einen Sachvortrag. "Konkurrenzdenken habe ich da noch nie erlebt. Wenn ich auf einen Kongress und zu einer Fortbildung fahre, dann treffe ich dort jedes Mal Freunde." Die Touristen "haben meistens gute Laune, da macht der Kontakt schon Spaß", meint Christi-an Blessing - dass sich immer einer findet, der sich beschwert, das dürfe man nicht überbewerten.
 
Findeisen fallen in den vergangenen Jahren positive Entwicklungen auf: Der Wunsch, Zeit in der Natur zu verbringen, insbesondere bei jüngeren Menschen. Der Wunsch, in der Freizeit - vielleicht auch kostenbedingt - nicht allzu weit zu verreisen. Und eine Korrektur: "Vor Corona hatten wir leider oft Leute mit völlig unangemessenen Erwartungen - das hat sich seit dem Lockdown deutlich verbessert, die Leute sind wieder dankbarer." Dabei profitiere die Belegschaft der Herzogstandbahn von der Haltung der Betreiber: "Wir haben mit bis zu 4000 Beförderungen an Spitzentagen und mehr als 150 000 Beförderungen in guten Jahren eine sehr hohe Auslastung". Aufgrund der hohen Investitionskosten sei man als - laut Findeisen - "günstigste Großkabinenbahn in Bayern" trotzdem nur knapp profitabel, "aber die Eigentümer sind mit der knappen Rendite offenbar zufrieden, die Kunden freuen sich über günstige Preise und wir freuen uns über gut gelaunte Gäste."

Fotos: Gregor Miklik

 

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